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Die Nacht von Shyness

Die Nacht von Shyness

Titel: Die Nacht von Shyness Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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vor mir sehe. Karten sind nicht gerade meine Stärke.
    »Blake hat nichts von Schutzräumen gesagt, oder?«
    Ebenso gut könnte ich mit mir selbst reden. Hoffentlich hat sie uns nicht absichtlich in die Irre geführt, das würde die Sache richtig kompliziert machen. »Wie lange kennst du sie schon?«
    Wolfboy sieht mich scharf an. »Ungefähr ein halbes Jahr. Wir haben uns beim Containern kennengelernt. Sie hat wahrscheinlich vergessen, die Schutzräume zu erwähnen. Du hast ja gesehen, wie Pete drauf war. Ich glaub, die Zuckerexzesse greifen das Gedächtnis an.«
    Nach einem halben Jahr kennt man einen Menschen nicht besonders gut. Aber wie gesagt, nach ein paar Stunden, so wie wir, erst recht nicht. Ich reite nichtlänger auf dem Thema herum. Wir müssen mit den Informationen auskommen, die wir haben.
    Das erste Gebäude hinter dem zweiten Zaun ist ein flacher Kasten. Sieht aus wie eine Art Schuppen. Ich drehe die Karte und versuche vergeblich, das entsprechende Viereck zu finden. Vielleicht hat Blake nur die Hochhäuser korrekt eingezeichnet und der Rest soll uns bloß eine grobe Vorstellung davon vermitteln, was wir sonst noch vorfinden könnten. Im letzten Schuljahr haben wir in Erdkunde gelernt, wie man Karten liest, aber ich glaube, ich hab das Meiste verpennt.
    Wolfboy hält eine riesige Zange hoch. »Ich wusste doch, dass die zu irgendwas gut ist. Wir schneiden den Zaun durch.«
    »Klingt gut. Mir ist nicht danach, mich vom Stacheldraht aufreißen zu lassen.«
    Bis jetzt war die Nacht fast noch härter als ein Erziehungscamp für junge Straftäter. Wolfboy ist kaum ins Schwitzen gekommen. Wenn ich ein paar Stunden Zeit hätte, könnte ich wahrscheinlich sogar einen annehmbaren Tänzer aus ihm machen. Aber ich bin völlig erledigt. Meine Brust tut weh und meine Arme und Beine fühlen sich an wie Wackelpudding. Ich versinke in Wolfboys Jeans und die Aufschläge bleiben immer an meinen Absätzen hängen. Ich sage mir, dass ich vielleicht nicht die Schnellste bin, aber dafür andere Sachen drauf habe. Mit den Piraten hätte es locker zu einem Kampf kommen können, stattdessen haben sie uns am Ende praktisch aus der Hand gefressen. Wenn ich das doch auch bei den Mädchen in der Schule hinkriegen würde! Aber mit denen lief es von Anfang an schief.
    »Fertig.«
    Wolfboy wickelt die überflüssigen Sachen in eine blaue Plastikfolie und legt sie nah am Zaun ab. »Die können wir auf dem Rückweg wieder mitnehmen.«
    Der Gedanke, dass er damit rechnet, hat etwas Beruhigendes. Bisher hat er so geredet, als wäre unser Ausflug nach Orphanville ein Himmelfahrtskommando.
    »Fang schon mal mit dem Zaun an. Ich packe den Rucksack.«
    Wolfboy nickt und beginnt, den Draht zu durchtrennen. Ich sehe ihm eine Weile zu, schaue auf seine gebeugten Schultern. Er ist so fern wie die Sterne über uns. Jetzt kommt es mir vor, als hätte ich mir die Nähe zwischen uns im Träumerraum des Little Death nur eingebildet.
    Ich nehme mir den Rucksack vor. Obwohl wir viel aussortiert haben, ist immer noch jede Menge zu packen: ein langes Seil, ein Schraubenschlüssel, eine Rolle Klebeband. Ich finde ein Messer und lege es, von Wolfboy unbemerkt, zu den Sachen in der blauen Folie. Mike hat mir eingeschärft, in den Plexus-Bauten nie eine Waffe bei mir zu tragen, weil sie ebenso gut gegen mich gerichtet werden könnte. Eine ziemlich schräge Aussage für einen Zwölfjährigen. Bei näherem Nachdenken glaube ich, dass der Spruch von seinem Vater kam: ein gruseliger Exmilitär, der mich immer nur angeraunzt hat, obwohl ich bei ihnen ein und aus ging.
    Aus irgendeinem Grund hat Wolfboy eine Plastiktüte mit grünen Blättern eingepackt. Ich halte sie ans Gesicht und schnuppere. Irgendwelche Kräuter, Oreganovielleicht oder Thymian. Ich halte ihm die Tüte hin. »Verkaufst du nebenbei Pot an die Kidds?«

    Im Dunkeln sieht die Zange aus wie eine natürliche Verlängerung von Wolfboys Arm, als hätte er Scherenhände. Es ist zu dunkel, um seine Augen richtig zu erkennen. Er gibt keine Antwort, also spreche ich mit meiner besten Bullenstimme. Mum steht total auf Fernsehkrimis, deshalb hab ich das ganz gut drauf. »Du findest es also in Ordnung, Drogen an Fünfjährige zu verticken, du mieser kleiner Dreckskerl?«
    Langsam sagt Wolfboy: »Die sind mindestens sieben, und das weißt du auch.«
    In der Dunkelheit muss ich sein Lächeln suchen, aber als ich es finde, ist es umso besser. Ich rede mir ein, dass ein Lächeln zwischen uns alles wieder

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