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Die Nacht von Shyness

Die Nacht von Shyness

Titel: Die Nacht von Shyness Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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ich von Paul weiß.
    »Ortolan wohnt hinter der Grenze, in Panwood.« Wieder zeigt er auf die vielen Lichter. »Aber ich sehe sie kaum. Ich gehe ihr nicht aus dem Weg, aber ich bemühe mich auch nicht um Kontakt.«
    »Gibst du ihr die Schuld an Grams Tod?«
    »Nein, natürlich nicht. Aber sie gehört zur Vergangenheit. Wir haben wahrscheinlich nichts gemeinsam. Sie hat ein Kind, für das sie sorgen muss. Und sie ist jetzt so eine Modedesignerin …«
    »Es schien ihr aber nicht unangenehm zu sein, dich im Raven’s Wing zu treffen. Sie wirkte höchstens etwas hilflos. Wenn du wieder Kontakt zu ihr haben wolltest, wäre das bestimmt kein Problem.«
    »Ich hab mich damals ziemlich bescheuert benommen.«
    In diesem Augenblick sieht er total jung aus, und ich weiß, dass er genau das haben will, selbst wenn er sich dessen nicht bewusst ist: Kontakt zu einem Teil seines Lebens vor der Dunkelheit.
    Er strafft sich und löst den Ellbogen von der Mauer. »Und was können wir von hier aus Wichtiges sehen?«
    Wir haben uns schon wieder ablenken lassen, haben in der Nacht alles um uns herum aus den Augen verloren, wie in dem Träumer-Raum im Club. Ich konzentriere mich wieder auf die Gebäude unten. Von hier ausliegt alles schön ausgebreitet vor uns, wie eine bewegte Landkarte.
    »Erst mal sollten wir auf alles achten, was wir um Nummer sechs herum sehen. Wir müssen den schnellsten Fluchtweg kennen und, für den Fall, dass wir den nicht erwischen, alle anderen Wege, die hier rausführen. Können wir mal auf die Karte gucken?«
    Wenn wir abhauen, könnten die Kidds uns schon auf den Fersen sein.
    »Das Haupttor ist der nächste Ausweg«, sagt Wolfboy.
    »Gibt es da Wachen?«
    Wolfboy hat bestimmt doppelt so gute Augen wie ich. Ich kann in der Dunkelheit nicht mal das Tor erkennen.
    »Glaube ich kaum. Da würde sowieso kein anderer als die Kidds durchgehen.«
    »Falls wir vom Haupttor abgeschnitten sind, müssen wir so wieder zurück, wie wir gekommen sind. Wieder durch das Loch im Zaun.«
    »Nicht unbedingt. Es gibt ja noch das hintere Tor. Solange das Auto hier ist, dürfte das offen bleiben. Wenn sie es schließen wollten, hätten sie das sofort gemacht.«
    Ich schaue nach. Der schwarze Wagen parkt immer noch zwischen den Gebäuden.
    Stirnrunzelnd betrachtet Wolfboy die Strecke zwischen diesem Gebäude und dem nächsten. »Wir müssen es rüber zu Nummer sechs schaffen. Bestimmt sind da Kidds hinter jeder Ecke.«
    »Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen«, sage ich. Das erledigt schon der andere Teil meines Plans.
    »Schön, dass du so zuversichtlich bist.« Wolfboy wird langsam unruhig. »Bist du soweit?«
    Ich nehme seine Hand und lege sie zwischen meine Hände. Seine Augen sind so dunkel. Ich glaube, es ist unmöglich, ihn jemals wirklich zu kennen.
    »Eins noch. Schau dir all das an …« Ich sehe zu den Sternen, den Lichtern, in die samtene Nacht und die so sonderbare Welt. »Das ist alles, was wir haben, nur das. In diesem Moment.«
    Er kann mir nicht folgen, aber ich gebe nicht auf.
    »Wir haben nichts als dieses Gefühl, genau hier und jetzt. Es gibt nichts anderes. Nichts ist wirklich wichtig.«
    Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob er mich versteht. Ich streiche ihm flüchtig über das Haar und stelle mir vor, Silberfäden würden aus meinen Fingern fließen, als ich die Hände, ganz leicht nur, um sein Gesicht lege. Kurz erschrecke ich, als mir bewusst wird, wie sehr ich ihn mag. Das ist etwas anderes als eine Schwärmerei aus der Ferne.
    »Jetzt erlöse ich dich«, flüstere ich, halb im Spaß, halb im Ernst. »Von der Vergangenheit und der Zukunft und all den langweiligen Werbeunterbrechungen.«
    Das alles wünsche ich auch mir selbst. Ich wünsche es mir so, so sehr.
    Wolfboy nimmt meine Hand und hält sie an seine Lippen. Er ist so nah, dass ich seinen Herzschlag spüre. Ich zwinge mich, einen Schritt zurückzuweichen. Ich möchte nichts anfangen, was wir dann abbrechen müssen.
    Am liebsten wäre ich irgendwo mit ihm allein. Irgendwo, wo es ruhig ist, vor der Welt verborgen. Aber jetzt müssen wir uns an die Arbeit machen.

24
    Als wir vom Dach kommen, ist der Aufzug noch da. Ohne Zwischenhalt saust er runter bis in den Keller von Nummer sieben. Die Tür öffnet sich in einen kalten, dunklen Flur.
    Ich frage Wildgirl gar nicht erst, wo wir hinwollen. Sie ist abgedreht, das ist klar, aber ich bin bereit, ihr zu vertrauen. Kein Mensch, den ich kenne, hätte sich in der Situation im Aufzug vorhin so

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