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Die Nacht von Shyness

Die Nacht von Shyness

Titel: Die Nacht von Shyness Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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sein. Sie kniet vor dem Schloss und pult mit der Haarnadel darin herum. Die Nadel kratzt am Metall, dann höre ich ein Klicken. Wildgirl drückt die Klinke herunter und das Tor bewegt sich.
    »Wir wissen es nicht«, sagt sie leise. Quietschend geht das Tor auf und malt dabei einen Bogen in den Dreck. Es klingt wie ein rostiges Jammern.
    Ich gehe hindurch. Auf der anderen Seite sieht der Tunnel haargenau so aus wie vorher. Die gleichen Rohre, die gleichen Lampen an der Decke. Ich nehmeWildgirls Hand und halte sie so fest, dass ich den Puls schwach in ihren Fingern spüre. Sie schaut zu mir auf und schenkt mir ein eigenartig dankbares Lächeln.
    Mit unseren Worten haben wir einander wehgetan, doch das wollten wir nicht. Die Wahrheit ist schmerzhaft, aber noch schmerzhafter ist es, die Wahrheit nicht zu kennen.

25
    Der Keller von Nummer sechs sieht fast exakt so aus wie der von sieben, nur dass hier keine Waschmaschinen in der Ecke stehen, sondern eine Sammlung von Pappkartons und eine verrottende Matratze. Eine einzige Glühbirne beleuchtet den Flur oben an der Déjàvu-Treppe.
    »Wenn ich einen Schutzraum bräuchte«, sage ich, »würde ich ihn in einem separaten, extra dafür gebauten Gebäude einrichten, mit einem Festungsgraben, bewaffneten Security-Leuten und einem Elektrozaun.«
    »Dann wüssten alle genau, wo du deine wertvollsten Sachen auf bewahrst. Und dort würden sie als Erstes angreifen. Mit der größten Armee, die sie zusammenstellen können.«
    »Hast du mich nicht gehört? Bewaffnete Leute? Ein Festungsgraben?«
    Wildgirl verdreht die Augen und weigert sich ausnahmsweise mal mitzuspielen. »Jedes Gebäude hat zwölf Stockwerke. Hat Blake nicht gesagt, dass in jedem Haus zehn Einheiten leben?«
    Ich nicke. »Also müssen sie zehn Räume bereitstellen. Da bietet sich doch ganz klar ein Stockwerk an, das nicht gebraucht wird, entweder ganz oben oder ganz unten. Los, wir durchsuchen erst den Keller, dann fahren wir nachoben und arbeiten uns nach unten vor. Je länger wir also hier sind …«
    »Und je wahrscheinlicher es wird, dass sie uns finden …«, werfe ich ein.
    Wildgirl nickt und vollendet den Satz. »Desto näher sind wir dann dem Erdgeschoss und unserem Fluchtweg.«
    Vor dem Aufzugschacht befinden sich auf jeder Seite des Flurs zwei Türen. Ohne dass wir uns abgesprochen hätten, gehe ich nach links und Wildgirl läuft nach rechts.
    Die erste Tür, bei der ich es versuche, führt in eine Abstellkammer. Darin ist ein Vorrat an Kanistern und ein erstickender Gestank nach Benzin. Ich schließe die Tür und gehe zur nächsten.
    »Hier unten sind sie nicht!«, rufe ich. »Die Türen haben keine Schlösser und alles ist verstaubt. Hier ist schon länger keiner mehr gewesen.«
    Hinter der nächsten Tür findet sich unbenutzte Sportausrüstung: schwammige Basketbälle, verhedderte Netze, ein altes Sprungpferd. Nichts Brauchbares.
    »Ich glaub, du hast recht«, sagt sie. »Aber immerhin hab ich das hier gefunden.«
    Als ich mich umdrehe, steht sie da wie eine Fechterin und zieht eine grüne Mistgabel durch die Luft. Der Schatten der Forke saust als Doppelgänger über die Wände.
    »Das ist mein Dreizack. Hübsch, was?«
    »Gemeingefährlich. Hast du für mich auch was gefunden?«
    »Na klar. Wie könnte ich dich vergessen?«
    Sie hält ein kleines Metallding mit kurzem Holzgriff hoch.
    »Ein Spachtel?«
    Wenn ich mich aufrege, überschlägt meine Stimme sich immer noch. »Seht her, welch prächtigen Spachtel ich mein Eigen nenne!«
    Sie wirft ihn mir zu und ich fange ihn mit einer Hand. In meinen Händen sieht er aus wie ein Teelöffel. Ich stecke ihn in eine Netztasche an der Seite meines Rucksacks.
    »Du hast recht, hier unten gibt’s bloß absoluten Müll. Los, ab nach oben.«
    Wildgirl marschiert am Aufzug vorbei und öffnet die letzte Tür. Eine große Sechs steht darauf. Es besteht also kein Zweifel mehr, dass wir im richtigen Gebäude sind. Wildgirl hält die Tür mit einem Fuß auf und winkt mich durch. Kalte Luft weht durch den Türspalt.
    »Kein Aufzug?«
    , frage ich.
    »Davon bin ich geheilt. Wir nehmen lieber die Treppe. Wenn wir jemanden kommen hören, können wir einen Stock hoch oder runter laufen und durch eine Tür verschwinden.«
    Ich schaue durch die Mitte der Treppe hoch, ganz hinauf bis zur obersten Etage, und werde von umgekehrter Höhenangst gepackt. Jeder Treppenlauf ist in der Mitte durch einen kleinen Absatz unterbrochen, und auf jeder Etage ist ein größerer Absatz. Durch

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