Die Nacht von Sinos
schwimmen«, zischte ich ihm ins Ohr und versetzte ihm einen kräftigen Tritt. Morgan hatte uns vom Ruderhaus aus zugesehen und gab jetzt Gas.
Sarah kam zu mir herüber. Im gleichen Augenblick ging einer der Männer drüben an Deck des Fischerbootes in die Knie, zog einen automatischen Karabiner unter einem Netz hervor und eröffnete das Feuer.
Ich riß Sarah mit mir zu Boden und jagte drei Kugeln hinüber, um ihn zu zwingen, in Deckung zu gehen. Mehr konnte ich bei dieser Entfernung mit der Walther kaum erreichen. Einer der Schüsse zerschlug eine Scheibe meines Ruderhauses, ein paar andere Kugeln klatschten hier und da in die Aufbauten, aber das war auch alles. Inzwischen pirschten wir mit zwanzig Knoten Geschwindigkeit in die Dunkelheit.
»Kann ich jetzt aufstehen«? fragte Sarah unter mir. »Mir gefällt es so, aber wenn du darauf bestehst ...« Sie erhob sich, lehnte sich an die Reling und atmete tief. »Eine reine Routinesache, hat der Kerl gesagt. Ein Kinderspiel.«
»Siehst du den kleinen Hebel da?« Ich klopfte mit dem Fingernagel an die Seite der Walther. »Das nennt man Sicherung. Wenn du wieder einmal jemanden erschießen willst, mußt du ihn vorher zurückschieben.«
Ich hatte wieder das Ruder übernommen, als sie mir eine Stunde später die zweite Tasse Tee brachte. Wir kamen gut voran. Die See hatte sich beruhigt, und nur ab und zu sprühte ein wenig Gischt aufs Deck.
»Wie geht es Morgan?« fragte ich.
»Es geht. Er hat erst drei Gläser getrunken. Ich hab' ihm ein Versprechen abgenommen. Und was geschieht nun?«
»Mit dem Rum? Das ist Yannis Sache. Ich bin im voraus bezahlt worden.«
»Auch gut.«
Sie saß da, die Tasse zwischen beiden Händen, und nippte an dem kochend heißen Tee. Ich sagte: »Weißt du was, du bist ein tolles Mädchen. Abgesehen von dem Sicherungshebel warst du ganz geschickt mit der Walther.«
»Ich hatte meinen Daumen die ganze Zeit an dem Hebel«, erklärte sie. »Mein Vater hat mich schon zur Jagd mitgenommen, als ich kaum eine Flinte schleppen konnte.«
»Eine Entenjagd in Yorkshire ist etwas ganz anderes als das vorhin. Du wärst um ein Haar vergewaltigt worden.«
Sie entgegnete ruhig: »Als wir uns kennenlernten, hast du ein paar Bemerkungen über meinen Lebenswandel gemacht. Sie waren nicht weit von der Wahrheit entfernt. Mit sechzehn flog ich aus einem sehr exklusiven Genfer Internat für feine junge Damen und stürzte mich kopfüber ins Londoner Nachtleben. Am Morgen nach meinem achtzehnten Geburtstag wachte ich neben einem Mann auf, den ich nicht einmal kannte. Da begann ich mich zu fragen, wozu das alles gut war.«
»Und die Antwort?«
»Wie immer verfiel ich ins andere Extrem. Ich ging als Sozialarbeiterin an die Eastside. Verkommene Subjekte, Süchtige und Methylsäufer, die fünfmal in der Nacht ins Bett nässen. Das Schreckliche daran war, daß mich das alles nicht gerührt hat. Ich fand es so widerlich, daß ich mich anderswo umsah.«
»Und hattest du da mehr Glück?«
»Das kann man wohl sagen. Ein Vetter meiner Stiefmutter ist Bischof der Kirche von England. Gott segne ihn. Er organisierte gerade eine Gruppe Entwicklungshelfer für Biafra. Er suchte Leute, die zu jeder Arbeit bereit waren.«
»Und du bist mitgefahren?« fragte ich ungläubig.
»Ich war neun Monate dort. Ich kam nur zurück, weil sich die ersten Anzeichen meiner Krankheit bemerkbar machten. Du kannst mir glauben, der arme alte Amer mit seinen dreckigen Pfoten und seinem üblen Atem war nur ein kleines Würstchen im Vergleich zu dem, was ich dort erlebt habe.«
Sie verließ das Ruderhaus und schloß die Tür hinter sich. Es war nicht das erstemal, daß ich mich unwillkürlich nach dem Sinn des Lebens fragte.
Kurz vor Morgengrauen waren wir wieder in Kyros. Zu allererst befahl ich Morgan, Sarah trotz ihrer Proteste mit dem Schlauchboot zur ›Firebird‹ hinüberzufahren. Ich erklärte ihr, sie brauche dringend ein Bad und mindestens zehn Stunden Schlaf. Man sah ihr die Erschöpfung an. Aber der Hauptgrund war, daß ich sie aus dem Weg haben wollte, bevor ich zu Yanni Kytros ging, weil ich mit Schwierigkeiten rechnete.
Wutschnaubend marschierte ich hin und ließ ihn aus dem Bett werfen. Aber dann kam alles ganz anders. Er hörte sich entsetzt meine Geschichte an. Leider hätte er keinen Einfluß auf die Mitarbeiter auf der anderen Seite, aber er wolle dafür sorgen, daß Kapitän Amer seinen verdienten Lohn bekäme.
Er bestand darauf, daß ich mit ihm frühstückte, während
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