Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
würde, den er in Erinnerung an tenente Robertos Tod empfand. Schon damals hatte er den jungen Carabiniere im Stillen verdächtigt, sie verraten zu haben. Zu überraschend und gezielt war die Aktion gegen sie gewesen, zu vordergründig die Ausrede mit dem verstauchten Knöchel.
Stefano nahm die Akte noch einmal zur Hand. Lucas Lagebeschreibungen füllten viele Seiten. Darin wimmelte es von starken deutschen Truppenkontingenten, von verbunkerten Stellungen, Geschützen und Panzern. Eine Phantomarmee, die ganze Städte und Dörfer zu einer einzigen Zielscheibe machte. Es fiel ihm schwer, sich zu beherrschen. Die Blätter in seinen Händen zitterten. Er dachte an den „Mann mit der Maske“, an Luigis Mühle, sein ospedaletto , und an die anderen Häuser, die ein Opfer der Flammenwerfer geworden waren.
„Er ist ein Spitzel, ein Agent provocateur“, sagte er kalt, und in diesem Augenblick hoffte er, man verführe auf dieser Seite der Front mit Verrätern genauso, wie man es zweifellos auf der anderen tat.
Am nächsten Abend saßen sie noch einmal mit Pietro und einigen anderen ehemaligen Partisanen zusammen. Auch Conti war unter ihnen. Sie hatten sich ein letztes Mal richtig satt gegessen und wollten am nächsten Tag über die Frontlinie zurück nach Norden.
Conti goss die Gläser ein weiteres Mal voll. „Und ihr wollt wirklich zurück?“ Sein Gesicht war weicher geworden, seine Wangen waren nicht mehr so eingefallen wie noch im Sommer.
Pietro trank einen Schluck Rotwein. „Du könntest sofort in einem Offiziersrang anfangen“, sagte er zu Stefano gewandt. „Wir könnten noch ein paar fähige Männer gebrauchen.“
Stefano hatte sein volles Glas mit beiden Händen umschlossen und starrte hinein. Er lächelte schwach. „Ihr habt genug davon, davon wie ihr von allem anderen auch genug habt.“ Er sah auf, sah in die Runde, sah zum Ofen, der immer noch glühte, zu den hell brennenden Lampen. „Es gibt Menschen, die brauchen uns mehr, als ihr uns jemals brauchen könntet. Wir müssen zurück.“ Dann fügte er hinzu. „Wenn ihr uns wirklich helfen wollt, dann kommt, kommt bald.“
Der Krieg dauerte noch drei Monate. Monteforte und die anderen Städte und Dörfer der Küste wurden erst in den letzten Kriegstagen befreit. Bei einer der letzten Kampfhandlungen wurde auch Vittoria getötet. Sie hatte versucht, Nachrichten der heranrückenden Alliierten der Brigata Muccini zu überbringen. Sie wurde in einer Aprilnacht erschossen, als sie den Fluss überquerte.
Scott fuhr als Erster in Monteforte ein. Es saß auf einem Panzer und rauchte eine dicke Zigarre. Als er die Hand hob, um den jubelnden Menschen am Straßenrand zuzuwinken, grinste er breit. Aber vielleicht war es nicht Scott, oder es passierte nicht wirklich. Dann war es nur Lauras Traum.
3. Buch
1. Kapitel
An einem Sonntag im Juli kehrten Maximilian und Laura nach Italien zurück, um für immer zu bleiben.
Ein Schnellzug hatte sie in der Nacht von Genova nach Pietrasanta gebracht, ein Schnellzug, in dem die Menschen in Grüppchen auf dem Gang standen und aufgeregt jede Meldung ihrer Taschenempfänger kommentierten, während der Zug durch die Dunkelheit donnerte, vielleicht genauso laut, wie die Landefähre irgendwo über ihnen auf ihrem Weg zum Mond. Und zwischen den vielen Tunnels verrenkten sie sich die Köpfe, um zu der gelben Sichel hinaufzustarren, als sähen sie sie zum ersten Mal oder als könnten sie tatsächlich diesen seltsamen „Adler“ ausmachen, der, aus dem luftleeren Raum kommend, gleich darauf zustoßen würde. Mare Tranquilitatis , das Meer der Ruhe , ein schöner Name, hatte Maximilian gedacht und in sich hinein gelächelt. Auch er war auf dem Weg zum Mond, zu etwas Fernem, was plötzlich so nahe schien, so nahe, weil es endlich sein Zuhause werden sollte.
Acht Jahre sind das schon her, dachte er, acht Jahre! Und jetzt saß er wieder in einem Zug, der jenem Schnellzug von damals zum Verwechseln ähnelte. Seit Wochen besuchte er in Livorno Vieri, der dort im Sondergefängnis einsaß.
Maximilian passierte die Kontrollen. Türen, die aufgeschlossen wurden, Gitter, gepanzerte Glasscheiben, die vor- und zurückfuhren, bedient von unsichtbaren Männern, die über Lautsprecher zu ihm sprachen und ihn durch die toten Augen der Videokameras beobachteten.
Er war ein routinierter Besucher. Gleichmütig ließ er sich abtasten. Alles, was er bei sich hatte, wurde geöffnet, durchleuchtet, von piepsenden
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