Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
den Partisanenverbänden zuständig.
Dort trafen sie mit Pietro zusammen. Der ehemalige Politische Kommissar der Brigata Lunense trug eine frisch gebügelte Uniform, war glatt rasiert und duftete nach Kölnischwasser. Überaus freundlich begrüßte er sie und ließ heißen Kaffe bringen. Dazu gab es verschiedene Sorten Kuchen, Hörnchen, gefüllte Blätterteigtaschen und noch einiges andere, was sie schon vergessen zu haben glaubten. Stefano und sein Begleiter – die restlichen Mitglieder der Eskorte waren in Seravezza zurückgeblieben – kamen sich wie aufgegriffene Wilde vor, die, verstört und ein wenig ängstlich, die Errungenschaften der Zivilisation bestaunten. Nach einer kurzen Schamfrist machten sie sich über das Essen her. Lächelnd sah ihnen Pietro dabei zu.
Viel später, so kam es zumindest Stefano vor, saßen sie matt und gesättigt auf ihren Stühlen. Eine halb volle Flasche Grappa stand auf dem Tisch, und Stefano meinte noch im Sitzen unmerklich zu schwanken. Dazu kam die ungewohnte Hitze, die schwer im Raum stand und ihm den Schweiß auf die Stirn trieb. Der Ofen in der Ecke glühte wie der Heizkessel einer Lokomotive.
Zwischendurch waren andere Männer gekommen und gegangen, teils bekannte Gesichter aus ihrer gemeinsamen Zeit in den Bergen, teils Angehörige des alliierten Kommandos. Stefano erkundigte sich nach Falco, dem ehemaligen Anführers der Brigata Lunense . Pietro hatte seine winzigen Pupillen auf ihn gerichtet, der gleiche stechende Blick, mit dem er als Politischer Kommissar die Genossen zu öffentlicher Selbstkritik aufgefordert haben mochte, und erwidert, Falco habe einen Fehler gemacht und er habe für diesen Fehler bezahlt. Mehr schien er nicht sagen zu wollen, und auch Stefano schwieg. Nur zu gut erinnerte er sich an ihr letztes Zusammentreffen im Pfarrhaus von Vigilata, an den aussichtslosen Kampf um Monte Sant’Angelo, an den toten Pitti, dessen Blut sich wie ein roter Schleier den weißen Stein bedeckt hatte. Dass er mit seinen Befürchtungen Recht behalten hatte, verschaffte ihm keine Genugtuung.
Dann kam Walkham, der Geheimdienstchef. In seiner Begleitung war Rossini, ein italienischer Offizier.
Stefano berichtete ausführlich von der Situation an der nördlichen Küste, von den wenigen Deutschen, die sich jenseits der Front verloren, von den sich selbst überlassenen Städten, die unter dem Beschuss der Alliierten lagen.
Walkham hob die Brauen. „Wie haben genaue Informationen über die deutsche Truppenstärke. In Monteforte sind es etwa fünfhundert Soldaten. Auf dem Sportplatz stehen mehrere 305-Millimeter-Geschütze.“ Er nahm eine Akte zur Hand. „Sehen Sie selbst.“
Stefano studierte eine Weile die Blätter, die ihm wenig sagten. Es waren Protokolle, Luftaufnahmen, Landkarten. Schließlich stellte sich heraus, dass die militärischen Ziele nach den Aussagen der Flüchtlinge festgelegt wurden. Jeder, der die Frontlinie überschritt, wurde ausführlich befragt. Danach machte man sich ein Bild von der militärischen Lage.
„Wenn ich Ihnen also jetzt sagen würde, in der Via Garibaldi befindet sich ein deutscher Armeeposten, dann kämen morgen die Jagdbomber, um die Straße in Schutt und Asche zu legen?!“ Stefano starrte den amerikanischen Offizier ungläubig an.
„Natürlich nicht! Erst wenn sich... wenn sich mehrere Aussagen decken. Dann kommt noch die Bestätigung der Luftaufklärung hinzu...“ Das Gesicht des großen blonden Mannes war gerötet. „Warum sollten wir nicht den Berichten des Widerstands vertrauen?“
Armes Italien, dachte Stefano. Jeder, der seinem Nachbarn den Teufel an den Hals wünscht, kann ein Bombergeschwader anfordern oder einen mehrstündigen Artilleriebeschuss. Und selbst wer nichts Böses im Sinn hat: Wie schnell ist eine harmlose Streife zu einer Abteilung, einem ganzen Regiment angewachsen? So viele Gerüchte schwirren durch die Luft und bauschen sich auf, wenn sie von Mund zu Mund gehen.
„Diese Quelle erschien uns besonders vertrauenswürdig“, Walkham tippte auf das Blatt, das er in Händen hielt, „ein ehemaliger Carabiniere, zuletzt bei einer kämpfenden Einheit oberhalb von Carrara, Luca Pasini.“
„Luca Pasini?“
„Kennen Sie ihn?“
Stefano nickte. Luca. Seit dem Feuerüberfall in jener Nacht, als sie vergeblich auf Nachschub gewartet hatten, war Luca verschwunden. Jene Nacht, die noch immer in seiner verletzten Schulter pochte, ein kleiner Schmerz, der sich auch in Zukunft mit jenem größeren vermischen
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