Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
sprach leise. Maximilian beugte sich vor, um ihn besser verstehen zu können. „Doch so weit kam es nicht. Noch bevor sie losschlagen können, fliegt der ganze Plan auf. Jemand hat sie verraten, jemand aus ihren eigenen Reihen. Sie werden unter Hausarrest gestellt. Tagelang warten sie auf ein Verfahren, auf das Militärgericht, auf die Exekution. Doch nichts geschieht.“ Vieri sprach jetzt schnell und emotionslos. „Schließlich wird Onkel Vieri zum Admiral gerufen. Dieser macht ihm klar, dass man die Sache nicht an die große Glocke hängen will. Die Streitkräfte sollen nicht in Verdacht stehen, unterwandert zu sein. Man sorgt sich um das Ansehen der Marine, der Luftwaffe, fürchtet Nachahmer, möchte keinen Präzedenzfall. Er sagt ihm all diese Dinge von Offizier zu Offizier und schlägt Onkel Vieri ein Geschäft vor. Er bietet ihm das Leben der meisten Männer an, wenn sie Stillschweigen bewahren. Sie sollen aus der Armee entlassen werden, unehrenhaft und unter dem Vorwand kleinerer krimineller Vergehen. Für ihn selbst und die anderen Rädelsführer könne es jedoch keine Gnade geben. Sie müssten sich selbst richten oder würden für immer in einem Gefängnis verschwinden. Sollte er sich aber zu jenem notwendigen soldatischen Schritt entschließen, gebe er ihm sein Wort als Offizier, dass man seiner in allen Ehren gedenken werde.“
„Ich verstehe.“
Vieri lachte leise. „Das klingt gut, nicht wahr? Und es klingt nicht nur gut, so hätte es tatsächlich sein können. Man sieht den grauhaarigen Admiral vor sich, einen aufrechten venezianischen Adligen, der dem jungen Offizier eine Pistole auf den Tisch legt. Ernst blickt er ihn noch einmal an. Dann dreht er sich um und geht aus der Tür. Nach wenigen Schritten ertönt ein Schuss. Der Admiral bleibt stehen und schließt für einen Moment die Augen. Unbewegten Gesichts geht er weiter.“ Vieri schüttelt den Kopf. „Ein Film, nur ein Film.“
„Er hat sich nicht erschossen.“
„Nein, er ist in sein Flugzeug gestiegen und aufs Meer hinausgeflogen. Aber das spielt keine Rolle.“
„Und wie war es wirklich?“ Maximilian fröstelte. Es war spät geworden. Mit der Dunkelheit waren auch die Geräusche verebbt. Nur das leise Surren der Videokamera durchbrach manchmal die Stille, wenn sich die Brennweite des Objektivs veränderte.
„Ganz anders. Und doch“, Vieri zog die Wolldecke ein Stück höher, „auf den ersten Blick hätte man meinen können, es sei genau so gewesen.“
„Und du hast es Gianluca gesagt?“
„Ich musste. Ich wollte nicht, dass er sich blamiert.“ Lange dachte er nach. „Und das war noch nicht alles. Ich habe ihm auch alles über Stefano erzählt, und das hat ihn noch mehr getroffen, als das, was er über Onkel Vieri erfahren musste.“ Vieri stockte. „Ich habe ihn auf dem Gewissen, ich allein.“
„Es war ein Unfall.“ Fünf Jahren waren seit jenem schrecklichen Geschehen vergangen, das die Familie erschüttert hatte.
Vieri schüttelte den Kopf. „Du warst nicht dabei. Du hast nicht gesehen, wie er mich angeschaut hat. Wie er hinausgerannt ist. Und du hast sein totes Gesicht nicht gesehen auf dem Boden des Steinbruchs, die Entschlossenheit darin. Da war kein Erschrecken, keine Angst. Nur Härte, unnachgiebige Härte.“ Vieri schwieg. Er sah auf seine Hände, die weiß und zerbrechlich auf dem Laken ruhten. „Die Baracca Rossa ist nicht erschienen, weder mit diesem Bericht noch mit einem anderen. Sie ist nie wieder erschienen“ Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. „Es hat Tage gedauert, Wochen. Ich weiß es nicht mehr. Und er ist ohne ein Wort gegangen, ohne einen Abschiedsbrief. Es war ihm gleichgültig, was wir denken, was ich denke, vollkommen gleichgültig.“ Er sah die Cava della Carbonera vor sich, ihren siebzig Meter tiefen von den Scheinwerfern der Feuerwehr hell erleuchteten Grund, seinen seltsam verrenkten Sohn, der in einer Pfütze grünschwarzen Wassers zu schlafen schien. Plötzlich richtete er sich auf und öffnete die Augen. „Wir sind verdammt, Vater, und es gibt niemanden, der uns retten kann.“
Später im Zug - die Schatten der Nacht flogen an ihm vorbei und die wenigen Lichter der spärlich beleuchteten Straßen, der in der Dunkelheit verlorenen Häuser - dachte Maximilian an ihr erstes Zusammentreffen zurück. Die Casa Letizia. Er sah hinaus und spürte die Schwere seiner übervollen Lider. Undeutlich nahm er sein eigenes Spiegelbild in der schwarzen Scheibe wahr, den dunklen
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