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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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Mantel, den altmodischen Hut auf seinem Kopf, die Zeitung, die er an sich presste wie etwas Wertvolles. Und er sah seinen Sohn, die Vertrautheit jenes fernen Tages, das seltsame Wiedererkennen in seinen hasserfüllten Augen.
    Der Zug fuhr über die neue Eisenbahnbrücke. Er verlangsamte seine Fahrt und nahm quietschend die enge Kurve, die zum Bahnhof führte. Eine leere Flasche rollte über den Linoleumboden.
    Maximilian seufzte. Vieri würde weiter machen, das hatte er heute verstanden. Er würde seinen Hungerstreik fortsetzen, würde sich zu Tode hungern, und niemand, nicht Laura und auch nicht er selbst konnte ihn davon abhalten. Niemand, der noch lebte.
     

5. Kapitel
     
    Paola Del Nero war blond oder blond gefärbt, sie war groß, und wenn sie auf ihrer Bank saß und auf den Zug wartete, maß sie Vieri mit langen durchdringenden Blicken. Wenn der Zug dann endlich kam, warf sie ihr Haar zurück, nahm die von einem Gummiband zusammengehaltenen Bücher und sah ein letztes Mal aus den Augenwinkeln zum ihm herüber. Mit ihrem wiegenden Schritt ging sie zu den dampfenden Wagen. Er stand unterdessen bei den Freunden, rauchte und beobachtete sie verstohlen.
    Sie war anders, als alle Frauen, die er kannte. Sie war vornehm, immer teuer gekleidet und sorgfältig zurechtgemacht, und doch überhaupt nicht schüchtern oder zurückhaltend. Sie erschien ihm wenig damenhaft, und ihre herausfordernde Art machte ihn nervös.
    Es dauerte Monate, bis er sie ansprach. Sein Herz klopfte ihm in der Kehle, und seine Hand zitterte, als er ihr eine Zigarette anbot.
    Diese Angst blieb lange. Wenn sie lachte, dann war es, als lache sie ihn aus, und wenn sie mit anderen Kommilitonen sprach, dann pochte der dumpfe Schmerz der Eifersucht in ihm. Als sie sich dann eines Tages vor ihm auszog, so selbstverständlich, als sei sie im Begriff, abends zu Bett zu gehen, fühlte er sich wie gelähmt. Sie legte sich auf ihn, hielt ihm die Hände fest, und während ihre Brüste dicht vor ihm auf und ab sprangen, sah er ihr in die Augen, Augen, die ihn aufmerksam, fast ein wenig angestrengt zu beobachten schienen. Er kam so plötzlich, dass er erschrak.
    Sie stieg von ihm herunter, zündete sich eine Zigarette an und lachte: "Machst du es zum ersten Mal?"
    "Ach was!"
    Sie kicherte und legte ihren Kopf auf seine Schulter.
    Paola war einige Jahre jünger als er. Sie war Anfang zwanzig, und doch fragte er sich oft, ob er ihr gewachsen sei. Sie erschien ihm wie ein wildes, unbezähmbares Tier von einzigartiger Schönheit, das er um jeden Preis haben wollte. Er begehrte sie auf eine so verzweifelte Weise, wie er noch nie etwas begehrt hatte.
    So heftig und ausdauernd sie miteinander schliefen, so häufig gerieten sie aneinander, wenn sie über irgendetwas sprachen. Immer war sie anderer Meinung als er. Immer verteidigte sie den Vater, den Großvater, machte sie sich über sein, wie sie sagte, kümmerliches kleinbürgerliches Dasein lustig. Für sie war ihr Leben an der Küste nur ein kurzes Zwischenspiel, eine auf das Studium begrenzte Episode. Rom, die Hauptstadt, wartete auf sie. Und auf ihn, sollte er tatsächlich eines Tages vernünftig werden. Ihm dagegen erschien seine Beziehung zu Paola als Teil einer subversiven Mission. Wie ein Agent oder ein Spion hatte er klammheimlich die klar umrissenen gesellschaftlichen Grenzen überwunden, die sie trennten, die Grenzen der unversöhnlichen politischen Lager, aber auch jene der genauso unversöhnlichen sozialen Klassen, und wenn er auf ihr lag und seinen Penis in sie hineintrieb, sie fast mit Gewalt niederzuringen versuchte, stellte er sich manchmal vor, Paolas Mutter sähe ihnen dabei zu, ihr Vater, die ganze Stadt, und wenn er dann ein letztes Mal tief in sie eindrang, sie mit einem einzigen verzweifelten Stoß nahm, mischte sie in das Wohlgefühl des Höhepunkts auch die Genugtuung der Vergeltung, der Rache. In diesen seltsamen Augenblicken fühlte er sich ihr überlegen, ihr und ihrer ganzen Familie. Er hatte sie bezwungen. Und er hatte es auch für Stefano getan, für Stefano und für Piero.
    Mit Paolas Schwangerschaft kehrte die Angst zurück. Aber dieses Mal war es eine andere Angst, und sie traf sie beide.
    Als Paola ihm sagte, dass sie schwanger sei, schien sie zu keinem vernünftigen Gedanken fähig. Ihr Vater brächte sie um, wiederholte sie, eine eintönige Litanei, die ihn bald verrückt zu machen begann, sie müssten fliehen, sofort, andernfalls bliebe ihr nichts anderes übrig, als von der

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