Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
fehlerfrei buchstabieren konnte.
Die Geburt ihres dritten Kindes veränderte alles. Pierino war das, was weder Gianluca noch Marietta gewesen waren: Er war ein Wunschkind. Er war das Ergebnis von Paolas schlaflosen Nächten, dann, wenn sie sich allein in ihrem Bett hin und her warf und überlegte, wie es mit ihr und Vieri und den Kindern weitergehen sollte. Er war eine Flucht nach vorne, das einzige, was eine Trennung verhindern konnte. Und auch Vieri, dessen Professur zum Greifen nahe schien, war entschlossen, seine privaten Verhältnisse in Ordnung zu bringen, wie er manchmal Gina gegenüber ironisch behauptete, indem er dieselben Worte benutzte, mit denen sie ihm jahrelang in den Ohren gelegen hatte. In Wirklichkeit fühlte er sich alt. Er war Anfang dreißig und führte nach wie vor das Leben eines Zwanzigjährigen, und wenn er in seinen Anfängerseminaren zur „Sozialisation in der Nachkriegsgesellschaft“ von der verlorenen Generation sprach, von jener Generation, die ihrer Jugend beraubt worden war, weil sie viel zu früh Verantwortung hatte übernehmen müssen, dann meinte er ein verächtliches Grinsen im Gesicht des einen oder anderen Studenten zu sehen.
Nach Pierinos Geburt zogen sie nach Pietrasanta in ein Häuschen am Stadtrand, das ihnen Paolas Familie gekauft hatte. Es war kein Geschenk, und die Miete, die Vieri Monat für Monat in die Rosenholzschachtel auf Del Neros Sekretär legte, sollte ihm immer seine Abhängigkeit von den Schwiegereltern vor Augen führen.
Neben den Frauen, den häufigen Seitensprüngen, mit denen sich Vieri seine Unabhängigkeit zu beweisen schien, war das Geld der Streitpunkt, der alles andere in ihrer Beziehung überlagerte.
Paola hatte nie gelernt, auf ihre Ausgaben zu achten. Sie hatte wohl das Haushaltsbuch der Mutter vor Augen, in das diese Abend für Abend akribisch jede Lira notierte, die durch ihre Hände gegangen war, lange Zahlenkolonnen und mit Kurzschrift angefügte Kommentare, die auch die Arbeitszeiten der Bediensteten auf die Minute genau erfassten – ein eigentlich unnötiges Unterfangen, bekamen sie doch einen festen Lohn und hatten bis auf den ersten Weihnachtsfeiertag und den Ostersonntag keinen einzigen freien Tag im Jahr –, dieses Haushaltsbuch war Paola aber genauso unverständlich geblieben, als handele es sich um eine ägyptische Papyrusrolle oder die jüdische Thora. Fasziniert hatte es sie schon. Oft hatte sie an ein Zauberbuch gedacht, in das die Mutter Tag für Tag ihre Zaubersprüche schrieb. Zaubersprüche, die den elterlichen Haushalt zusammen zu halten schienen, die Familie, ihre ganze Welt. So war es kein Wunder, dass ohne dieses Buch, ohne die eiserne Haushaltsdisziplin der Mutter, die ihr bekannte Ordnung zusammenbrechen musste. Oft ging ihnen das Geld schon Mitte des Monats aus. Paola beschuldigte ihren Mann, sein unsteter Lebenswandel treibe sie in den Ruin, seine immer neuen, kostspieligen Pläne, für die er Foto- oder Filmkameras anschaffte und Unmengen von Büchern, für die er Reisen unternahm, um zu recherchieren – ein Wort, das sie stets so auszusprechen wusste, dass es anzüglich klang –, und die mit schöner Regelmäßigkeit schon nach wenigen Wochen versandeten. Die teuren Anschaffungen landeten im Keller oder wanderten ins Pfandleihhaus, wo sie für einen Bruchteil ihres Wertes über die Theke gingen. Vieri seinerseits nannte sie ein verwöhntes Bürgertöchterchen, das keine Ruhe finde, bis es jedes der taschentuchgroßen Zehntausendlirescheine für ein Paar neue Schuhe oder ein neues Kleid ausgegeben habe. Der Streit ums Geld endete meistens damit, dass sie sich eine Ausrede ausdachten, mit der sie Paolas Großeltern einmal mehr um Geld angehen konnten – mal hatten sie ihre Brieftasche verloren, waren bestohlen oder ausgeraubt worden, mal hatten sie teure Medikamente für die kranken Enkel kaufen oder einem verarmten Studenten aus einer Notlage helfen müssen –, eine Lösung, die sie beide hassten und für die sie sich wechselseitig die Schuld gaben. Erneuter Streit entbrannte, und Vieri verfluchte die Bonzen, die sich alles kaufen konnten, einschließlich ihn selbst, und Paola den Umstand, unter ihrem Stand geheiratet zu haben.
So kam es, dass sich Gianluca und Marietta nicht für das neue Familienleben begeistern konnten. Im Gegenteil, wenn sie nachts von den Stimmen der Eltern wach wurden, von ihren Schreien, dem lauten Klatschen, von dem sie nicht wussten, ob es auf eine Ohrfeige oder auf etwas Harmloseres
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