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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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Das kurze graue Haar, die blasse Haut. Das knochige Gesicht, das ihn wie einen müden Vogel aussehen ließ. Sein Sohn schien so schnell gealtert, als gehöre der lockenköpfige und bärtige Professor mit den Seidentüchern um den Hals, den er immer noch vor sich sah, wenn er an ihn dachte, einer längst vergessenen Epoche an. „Ich hatte gerade ausgelernt, als das Bergwerk geschlossen wurde. Da war schon Krieg. Ich war vierzehn. Als ich einberufen wurde, war das meiste schon vorbei. Später in den Bergen war ich Onkel Stefanos Neffe, ein kleiner Kurier, der gerne Räuber und Gendarm gespielt hätte. Und an der Uni“ – er lachte leise – „Philosophie! Soziologie! Welch schöne Träume wir hatten! Dumme Kinderträume, nichts weiter.“ Er sah sich um, machte Anstalten, sich zu erheben, ließ sich aber dann wieder zurücksinken. „Ich habe keine Bomben gelegt, niemanden erschossen... Ich bin der Kopf ... So sagt man doch? Der Anstifter. Nur ein dummer Theoretiker..."
    Maximilian wollte einwenden, dass Worte genauso gefährlich sein konnten wie Gewehrkugeln, stattdessen sagte er: "Man wird dich wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung verurteilen. Nur ein paar Jahre..."
    Vieri schien ihn nicht zu hören. "Natürlich ist es wichtig, etwas gegen unsere Haftbedingungen zu tun. Isolationsfolter, Vernichtungshaft, schöne und starke Worte. Und gleichzeitig ist es sinnlos und dumm. Wie oft wolltest du mich überzeugen? Das war gar nicht nötig. Du hast Recht, genauso wie die Genossen in ihren Zellen Recht haben oder jene, die uns bewachen.“ Er sah ihn an. Meine Augen, dachte sein Vater, als blickte ich in einen Spiegel. „Dieser Hungerstreik... Zum ersten Mal in meinem Leben, mache ich etwas . Nicht einmal ganz freiwillig. Aber ich will es richtig machen, verstehst du, vom Anfang bis zum Ende richtig.“
    „Es ist dumm, sein Leben für eine Idee zu opfern.“
    „Dumm, ja. Oder heldenhaft, nicht wahr? Jeder Soldat tut es.“
    „Nein, man kämpft, weil man Angst hat. Man tötet aus Angst, und man stirbt aus Angst. Es gibt immer eine größere Angst, die einen antreibt.“ Plötzlich sah Maximilian eine lang vergessene Szene vor sich. Er sah seinen Hauptmann vor sich, und er sah Georg, einen seltsam lebendigen Georg, der vorgetreten war, um für ihn in den Tod zu gehen. Dann dachte er an jenen Tag in den Höhlen. Er war sich nicht mehr sicher, ob er Recht hatte.
    „Dann habe ich eben mehr Angst davor, so weiterzuleben, als zu sterben. Vielleicht ist das so.“ Vieri schwieg. Er schien nachzudenken. „Aber da ist noch etwas. Es geht nicht nur um mich. Selbst wenn ich mich damit abfinden könnte, ich könnte nicht zum Verräter werden.“ Er sah seinen Sohn Gianluca vor sich. „Nicht nach allem, was geschehen ist. Wir leben in einer Zeit, in der nur die Verräter überleben.“ Er dachte Stefano, an seine Eltern, an Onkel Vieri, den Testpiloten der Königlichen Italienischen Marine. „Und selbst diese schaffen es manchmal nicht.“
    Später - Vieri lag wieder erschöpft in seinem Bett - gab es einen Augenblick, in dem Maximilian an der Entschlossenheit seines Sohnes zweifelte.
    Er glaubte ihn schon eingeschlafen, die Platte war bis zum Ende gelaufen und drehte sich leer und kratzend auf dem Plattenteller, als Vieri die Augen öffnete. „Legst du mir bitte dieses eine Stück noch einmal auf? Du weißt schon...“
    Schweigend hörten sie sich das kurze Lied gemeinsam an.
    Vielleicht war es Lennons flehende Stimme, die Maximilian davon anfangen ließ, die Hilflosigkeit, die plötzlich so deutlich wie nie zuvor im Raum stand, die Unsicherheit und die Tränen, die er in den Augen seines Sohnes zu sehen glaubte. Für einen kurzen Moment meinte er, seine Geschichte könne alles ändern.
    „Ich habe es nie jemandem erzählt“, begann er, „nicht einmal Laura.“ Es fiel ihm schwer, weiterzusprechen. Er schluckte. „Nach dem Krieg gab es Leute, die mich mit den Massenerschießungen in den Bergen in Verbindung gebracht haben. Und ich kann es ihnen nicht verübeln, denn die meisten davon ereigneten sich zu meiner Zeit, in der Zeit, als ich in Monteforte war.“ Er stockte. „Dein Großvater, Piero... Du hast mit nie gesagt, was du darüber weißt, was du glaubst, ob du mich tatsächlich für einen Kriegsverbrecher hältst, für einen Mörder, für einen Massenmörder... Wenn ich dir diese Geschichte erzähle, dann nicht, weil ich beichten möchte, mich freisprechen... Doch du sollst es wissen. Und wenn ich

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