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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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machte und die Gläser der Schutzmaske von innen beschlagen ließ. „Es war im Frühsommer 1944. Im Juni, wenn ich mich nicht täusche. Es war ein trockener, sehr heißer Juni.“ Er versuchte, sich zu erinnern. „Da war der Strand schon vermint. Überall eingegrabene Geschütze und MG-Nester. Wir warteten auf die Landung, auf die Invasion, die Befreiung. Jeden Tag.“ In diesen Wochen war er von der Idee, Wasserski zu fahren, besessen gewesen. Kaum ein Morgen, an dem er nicht sehnsüchtig zum Meer geblickt hätte, zum Telefon, das eingerollt wie eine Katze auf seinem Schreibtisch schlief. „Wie kommt man dazu, etwas so Verrücktes zu tun? Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es eine Flucht, vielleicht will man sich etwas beweisen... Irgendwann kommt der Punkt, an dem dir alles gleichgültig wird, an dem nur noch diese Idee in deinem Kopf ist, groß und schön und unwiderstehlich.“ Er lachte leise. „Wie eine Frau oder ein Block reinster Statuario “ Schließlich hatte er die Flugbereitschaft angerufen. „Ich habe sie nach Tellaro bestellt, zu diesem kleinen Fischerdorf in den Felsen unweit von Lerici. Am Strand wäre es undenkbar gewesen, noch verrückter.“ Seit einigen Tagen schon stand ein Paar gut erhaltener Skier bereit, das er in einem Schuppen hinter der Pension gefunden hatte. Seewald, sein Adjutant, hatte ihn abgeholt. Weder an diesem Morgen noch später kam irgendeine Bemerkung über seine Lippen. „Sie kamen mit einer Do-24 T, einer Riesenkiste. Über zwanzig Meter lang, drei Motoren, die hoch über dem Rumpf schweben, als habe sich ein zweiter Vogel darauf gesenkt. Ein Flugboot, so hieß das damals. Und ich habe ihnen gesagt, sie sollen eine halbe Stunde lang auf und ab fahren. Fünfzig Stundenkilometer, sechzig höchstens. ‚Sie wollen nicht fliegen?’ hat der Pilot gefragt. ‚Nein’, habe ich geantwortet, ‚ich möchte mir die Gegend zu Fuß anschauen.’ Und er hat salutiert, hat ‚Zu Befehl, Herr Hauptmann gebrüllt’ und ist in die Kanzel geklettert.“ Maximilian schüttelte den Kopf. „Das ist das Schöne am Krieg. Es ist einfach, Befehle zu geben.“ Er sah zu seinem Sohn. „Bist du nicht müde?“
    Vieri antwortete nicht. Er starrte in die Kamera über dem Fußende des Bettes, an die Wand, vielleicht ins Leere. Seine Wangen waren gerötet, seine Augen. Fast schien es, als habe er Fieber. „Vater...“
    Maximilian beugte sich vor. „Ja?“
    „Ich hätte nicht gedacht, dass du so...“, Vieris Mundwinkel wanderten nach oben, und wenn die Anstrengung nicht gewesen wäre, die sein Gesicht zu einer Maske verzerrte, die noch immer weit geöffneten Augen, die etwas sahen, was niemand sonst sah, es wäre wie ein Lächeln gewesen. „... dass du so bist. So... Ich weiß nicht. So anders.“
    Das Wasser war ruhig gewesen. Glatt wie Öl . Sie waren die Halbinsel entlanggefahren, bis die Bucht hinter ihnen sich im Dunst aufgelöst hatte, die Absperrungen, die den Kriegshafen und das Arsenal vor feindlichen U-Booten schützten. Oben auf der Punta Bianca wurden die Rohre der Küstenfestung noch einmal auf ein unsichtbares Ziel ausgerichtet, dahinter floss unsichtbar die Magra ins Meer.
    Maximilian ging in die Knie, federte auf und ab, legte sich vorsichtig in die Kurve, um sich dann langsam zurückschwingen zu lassen. Zu seiner Linken glitten die mit Pinien und Olivenbäumen bewachsenen Hügeln der Halbinsel vorbei, zu seiner Rechten, auf der anderen Seite der Bucht, zeichneten sich die Umrisse der Insel Palmaria ab. Je länger die Fahrt andauerte, desto sicherer fühlte er sich auf den dünnen Holzbrettern. Hoch über ihm donnerten die Motoren, vor ihm zerpflügten die baumstammdicken Schwimmer des Flugbootes das Wasser, bildeten Wirbel und Strudel, kleine Wellen, auf denen die Skier hüpften.
    Dann verließen sie die Bucht, blau und unendlich lag das Meer vor ihm. Und plötzlich dachte er an Korsika, an dieses geheimnisvolle Land, das er an einem winterklaren Tag vom seinem Küchenfester in Monteforte gesehen hatte, und er stemmte sich in die Skier, legte sich zurück, um diesen Namen hinaufzubrüllen in den Himmel. Sie fuhren nach Korsika, nein, jetzt flogen sie, schraubten sich hinauf in den wolkenlosen Himmel. Und er brauchte kein Flugzeug oder Flugboot. Er konnte fliegen, allein und ohne Hilfsmittel, und er breitete die Arme aus, um hinüberzusegeln in das Gelobte Land.
    „Sie haben mich aus dem Wasser gefischt, mehr tot als lebendig. Ein Wunder, dass sie es überhaupt gemerkt

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