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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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    Am Samstag wurde der Monolith gefunden.
    Zuerst wusste es Concetta, Pieros Küchenhilfe. Doch das wunderte niemanden, denn sie war es stets, die die Pensione Moderna mit Neuigkeiten aller Art, mit Gerüchten und Geschichten versorgte. Nicht, dass das etwas abseits zwischen Dorf und Meer gelegene Haus ohne sie von der Grundversorgung mit Nachrichten abgeschnitten gewesen wäre. Gleich am Eingang, dort, wo Piero eine behelfsmäßige Rezeption eingerichtet hatte, hing eines der seltenen Telefone an der Wand. Es war ein Gerät neuester Bauart und wenn es klingelte, musste Laura oder ihre Schwester Vittoria oft loslaufen, um aus der nahen oder ferneren Nachbarschaft den zu holen, den man verlangte. Dann wurde in die Muschel gebrüllt, je weiter der Anrufer entfernt war, desto lauter, sodass das ganze Haus Anteil hatte. Und so gab es kaum ein Ereignis, ob Todesfall, ob Heirat oder Geburt, das ihnen entgangen wäre. Und doch, zu allem, was sich an der Küste zwischen La Spezia im Norden und Pisa im Süden ereignete, schien Concetta den besseren Draht zu haben. Sie war der modernen Technik stets eine oder zwei Stunden voraus. Als habe sie unsichtbare Fühler in jedem Dorf und jede Stadt im Umkreis von dreißig Kilometern, erschienen die Botschaften, die sie erhielt, wie plötzliche Eingebungen. Unvermittelt konnte sie dann den Holzlöffel in die kochende Polenta fallen lassen, um sich zu bekreuzigen. Lucchesis Tochter habe sich ein Bein gebrochen, hieß es dann, die Rothaarige mit dem zweifelhaften Lebenswandel, und sie dankte der Mutter Gottes für das Zeichen und hoffte, es sei Rita Warnung genug, auf den Pfad der Tugend zurückzukehren. Ob sie tatsächlich telepathische oder gar hellseherische Fähigkeiten besaß, war umstritten. Es gab Leute, die behaupteten, sie warte mit solchen Nachrichten einfach auf einen günstigen Augenblick, so lange, bis sie vorgeben konnte, diese aus dem luftleeren Raum gleichsam zu empfangen, ganz so, als sei sie im Besitz einer besonderen Gnade - Wichtigtuerei, sonst nichts, eine Vermutung, die nur schwer mit dem Vorsprung in Einklang zu bringen war, den Concetta vor allen anderen noch so geschwätzigen Frauen des Dorfes hatte. Andere vermuteten, sie habe ein besonders feines Gehör, mit dem sie auch weit entfernte Gespräche mühelos verfolgen konnte, und wenn sie in der Kirche oder in der Markthalle war, sei es ihr ein Leichtes, in wenigen Minuten sämtliche Neuigkeiten des Tages aufzunehmen, zumal sie zugegebenermaßen über ein hervorragendes Gedächtnis verfüge. Gegen die übersinnlichen Fähigkeiten sprach auch ein anderer Umstand. Stets war das, was sie zu berichten wusste, ein wenig übertrieben, manchmal auch stark übertrieben, und so hatte man sich angewöhnt, einen Grossteil des Sensationswertes ihrer Neuigkeiten einfach wieder abzuziehen, ein Verfahren, das im Laufe der Jahre vervollkommnet worden war und recht zuverlässig funktionierte.
    Als sie am Samstagmorgen noch in der Tür von einem riesigen Marmorblock zu erzählen wusste, einem dreihundertfünfzig Tonnen schweren Stein aus reinstem Statuario genannt, dem größten jemals in den Bergen gefundenen Monolithen aus reinstem weißen Marmor, dividierte man die Zahl also im Geiste durch einen feststehenden Nenner, zog zur Sicherheit noch ein paar Tonnen ab und kam dennoch auf ein stattliches Ergebnis. Sollte dieser Stein auch nicht zwanzig Meter lang sein, wie sie unbeirrt behauptete, er war sicherlich der größte zusammenhängende Block, der seit vielen Jahren, vielleicht sogar seit alters her gefunden worden war.
    Natürlich musste man noch abwarten. Manch ein scheinbar makelloser Stein erwies sich als brüchig. Unsichtbare Risse lauerten in seinem Innern, um bei der nächsten Gelegenheit den Block auseinander zu sprengen wie Glas. Geschah das nicht während des Transports, eines mühsamen Unterfangens, mit dem solch ein Ungetüm in tagelanger Arbeit mit Seilen und mit Hilfe von Ochsen, neuerdings auch mit dampfbetriebenen Traktoren, zu Tal befördert wurde, dann konnte bei der Bearbeitung die schönste Statue plötzlich auseinanderfallen, als habe sie jemand mit einem scharfen Messer in Scheiben geschnitten. Nicht umsonst hatte sich Michelangelo persönlich hinauf in die Steinbrüche bemüht, um darüber zu wachen, dass die von ihm ausgewählten Blöcke, mit der notwendigen Sorgfalt behandelt wurden. Denn oft genug rissen Seile, und die auf den parati , eingeseifte Buchenhölzer, rollenden Quader machten sich los und

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