Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
stürzten Abhänge hinab, stießen gegen Felsen und Mauern. Marmor war ein sprödes Element, spröde und weich.
Die Nachricht vom Fund des Monolithen verbreitete sich in Windeseile. Im Dorf wusste es jeder, und dieses Mal war es müßig zu raten, wie viel Vorsprung Concetta gehabt hatte. So atemlos, wie sie hereingestürzt kam, den Wagen mit dem Gemüse noch draußen vor der Tür in der prallen Sonne, schien sie nichts eiliger zu haben, als jeden Anteil nehmen zu lassen.
Unnötig zu erwähnen, dass der ungewöhnliche Fund wie jedes seltene Ereignis geeignet war, die wildesten Spekulationen über Sinn und Vorsehung, über Vergangenheit und Zukunft, über das Schicksal im Allgemeinen und im Besonderen sprießen zu lassen. Als handle es sich um einen neu entdeckten Kometen oder eine totale Sonnenfinsternis, stand außer Frage, dass dieser Fund etwas bedeutete . Was er bedeutete, darüber war man sich uneins. Schon um die Frage, ob es ein gutes oder schlechtes Zeichen sei, wurde erbittert gerungen. Während die einen den Stein als untrüglichen Hinweis auf einen besonders harten Winter werteten, auf einen Winter, in dem die Olivenbäume erfrieren würden, eine Katastrophe, die sich in schöner Regelmäßigkeit alle dreißig Jahre wiederholte und auf die man wartete, wie auf man auf ein unabwendbares Unglück wartet, der vielen gespendeten Kerzen zum trotz, stand für andere fest, schon die lange und schlanke Form des Monolithen, seine Erhabenheit müssten etwas Gutes bedeuten, müssten etwas mit Kirche, mit Königshaus, ersatzweise mit der glorreichen Zukunft des Vaterlandes zu schaffen haben, die Heimkehr der dalmatinischen Provinzen ankündigen beispielsweise, wenigstens das. Aber das waren noch längst nicht alle Erklärungen, und so sollten den ganzen Sommer über die Gerüchte schwirren, sollte jedes andere ungewöhnliche Ereignis, jede noch so kleine Auffälligkeit in einen unmittelbaren Sinnzusammenhang gebracht werden, so bemüht war man, die eigenen Annahmen durch zusätzliche Argumente zu stützen, um auch den letzten Zweifler von ihrer Richtigkeit zu überzeugen. Denn, so viel stand fest, sollte einer von ihnen recht behalten, Respekt und Achtung für alle Zeiten wären ihm gewiss.
Vielleicht war es diese Unruhe, die sich breit gemacht hatte, eine Ungewissheit, die an Angst grenzte, die die Bergarbeiter schon nach wenigen Tagen bewog, dem Rat der Gewerkschaft zu folgen und den Monolithen dem Duce zu schenken. So wie man einem mächtigen Gott Opfer darbietet in der Hoffnung, ihn und das Schicksal zu besänftigen, konnte auf diese Art und Weise gewiss auch der Stein von seinen zerstörerischen Anteilen gereinigt werden. Denn, welche Macht, ob irdisch oder nicht, hätte es mit dem Duce aufgenommen? Und wenn der Monolith als Obelisk erst einmal in Rom stünde, er wäre ein Denkmal für sie alle, für jene, die ihn dem Berg abgetrotzt hatten, wie für all die anderen, die in den folgenden Monaten die Straßen säumen sollten, um die lizzata, den langen Abstieg zum Hafen, zu feiern.
Für die Gäste der Pensione Moderna stellte der Monolith mehr als eine willkommene Abwechslung dar. Das Neue der ersten Tage hatte sich im abgesteckten Zirkel von Mahlzeiten, Strand und Spaziergängen gleichsam gesammelt und war zu wiederkehrenden Mustern geronnen, und so beschaulich diese Gewohnheiten waren, mehr und mehr meinten sie, hinausgetrieben zu werden, das Gefühl für die wirkliche Welt zu verlieren, einer Welt, die, nur wenige Schritte von ihrer Haustür entfernt, zurückzuweichen schien, um sie allein zu lassen auf ihrem luxuriösen Vergnügungsdampfer, der viele Meilen vom Land entfernt zwischen den Welten kreuzte. Nur Boris, der Marxist, saß manchmal auf dem Dorfplatz neben dem Brunnen, um die Menschen zu beobachten, die Frauen, die Wasser holten, die Maulesel mit ihren Lasten, die Bauern, die vom Markt kamen und die nicht verkauften Waren in ihren Handkarren die staubige Straße zurück zum Hof zogen.
In der Aufregung, in der Neugier und der Erwartung sahen sich die Pensionsgäste mit den anderen Dorfbewohnern vereint, mit den Arbeitern unten an der Verladestation, den Müttern und Töchtern, die ihre Wäsche gegen einen billigeren Stein als Marmor schlugen und jenen alten, schwarz gekleideten Frauen, die die ausgetreten Stufen zur Kirche hinaufschlurften, um Maria oder die Heiligen oder wen auch immer milde zu stimmen. Als sei er vom Himmel, aus großer Höhe auf die Erde gefallen, hatte der Monolith alle
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