Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
ab. Um halb drei bin ich mit der Küche fertig.“ Dann war sie verschwunden.
Der Weg schlängelte sich durch den Kastanienwald hinauf. Immer wieder musste ein schmaler Wasserlauf überquert werden. Dann rumpelten die eisenbeschlagenen Räder über die Holzbohlen. Darunter stürzte das Wasser zu Tal. Es war schattig und kühl.
Von hinten, von der letzten Bank aus, beobachtete Maximilian Laura und Sandro. Jetzt, da die Straße schmaler geworden war und die Pferde nur dem vorausfahrenden Wagen der Pension zu folgen hatten, lagen die Zügel lose in Sandros Hand. Er hatte sich Laura zugewandt und überließ die Tiere ihrem Lauf. Nur wenn sie zu weit zurückfielen, schnalzte er mit der Zunge. Dann schlossen sie wieder auf, und das vielstimmige Singen der Freunde wurde wieder lauter. Laura spielte mit der Peitsche. Wenn sie nahe genug am vorderen Wagen waren, rief sie etwas hinüber. Meist war es Scott, der zurückbrüllte oder Arkadij, der sie mit einem Scherz zum Lachen brachte. Kein einziges Mal hatte sie zu ihm zurückgeschaut, und Maximilian spürte, wie sich seine Eifersucht langsam in Wut verwandelte.
Ganz hinten auf der letzten Bank fühlte er sich von allem ausgeschlossen, und während sie sich den Bergwerken näherten, versuchte er zu ergründen, warum ihn Laura so offensichtlich mit Missachtung strafte.
Zwei Bänke vor ihm schienen auch Josef und Vittoria einer anderen Welt anzugehören. Jener redete auf sie ein, fuchtelte dabei mit den Händen, was vermutlich weniger seinem Temperament als den Verständigungsproblemen zwischen ihnen geschuldet war, und Maximilian konnte das nachgiebige Profil Vittorias sehen, ihre dunklen Augen, die jeder Bewegung des Deutschen aufmerksam folgten. Aber vielleicht bildete er sich das ein. Je mehr er litt, umso glücklicher erschienen ihm die anderen, umso mehr stieß er auf Einverständnis, auf Bewunderung und Hingabe.
Er dachte an jenen Spaziergang mit Laura zurück. An ihr Gespräch über Vieri, den toten Bruder, an die Zusammengehörigkeit, die sie empfunden hatten, auch sie, da war er sich sicher. An den Abend, als sie in den Salon gekommen war, um ihm zuzulächeln, in ihrer weißen Schürze und leise wie ein Dieb, während Lidia Puccini vortrug und Verdi und andere italienische Komponisten, deren Namen er vergessen hatte. Sie hatte nur für wenige Minuten neben der Tür an der Wand gestanden, und während Lidia dem Klavier die wunderbarsten Töne entlockte, hatten sie sich angesehen. Und wenn er die Augen schloss, dann stand sie noch immer vor ihm im Licht der gedämpften Lampen, lächelte sie noch immer jenes Lächeln, mit dem sie das Versprechen des Nachmittags zu erneuern schien. Mit einem unmerklichen Nicken war sie gegangen und hatte ihn in freudiger Erwartung zurückgelassen. Heute würdigte sie ihn keines Blickes. Er verstand sie nicht.
Endlich waren sie oben.
4. Kapitel
Es herrschte Volksfeststimmung.
Unterhalb des kleinen Bergarbeiterdorfes, dort, wo sich ein breiter Sattel zwischen den Kämmen bildete, sammelten sich die Menschen. Von hier aus konnte man die wenigen Häuser des Dorfes sehen, aber, was ungleich wichtiger war, auch die Lagerstätte, die Cava della Carbonera, die sich ein paar Meter darüber und rechter Hand davon wie eine klaffende Wunde in der steilen Bergwand öffnete. Vom Bergwerk bis zu dem großen Platz war eine breite Schneise geschlagen worden, die wenigen Büsche, manch ein steinernes Hindernis waren beseitigt, und auf diesem Weg wurden die Blöcke heruntergelassen. Überall ragten Winden aus dem Berg, waren Eisenhalterungen verankert, verbogene rostige Träger, an denen die Seile und Taue festgezogen wurden, die die Lasten sicherten.
Schon einige hundert Meter vor dem Platz hatten sie aussteigen und zu Fuß weiter gehen müssen. Maximilian stellte mit Genugtuung fest, dass Sandro bei den Tieren zurückblieb. Die Straße war mit Wagen und Karren verstopft, selbst einige Automobile waren darunter, und obwohl ihre Fahrer hupten und schimpften, gab es auch für sie kein durchkommen.
In der Menschenmenge, die sich langsam bergan schob, waren vornehme Damen mit Hüten und Schirmen am Arm ihres Gatten, Bauern in ihrem Sonntagsstaat, kleine Gruppen von Arbeitern in dunklen geflickten Anzügen. Manch einer schleppte ein Fass, andere Körbe mit Früchten oder Käse und Würsten. Kinder und Hunde tobten herum, rannten hinauf und hinunter, und die Herrschaften mussten mehr als einmal ihre silberbeschlagenen Spazierstöcke einsetzen,
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