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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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um sich Respekt zu verschaffen. Über allem lag eine Staubwolke, die sich, je näher sie dem Platz kamen, mit dem schweren Rauch der Holzfeuer vermischte. Es roch nach gegrilltem Fleisch und nach frischen Kräutern, nach Zuckerwatte und nach gebrannten Mandeln. Und nach Menschen. Parfum oder Kernseife, Rasier- und Haarwasser, Mottenkugeln, muffiger Kleidung aus feuchten Räumen, Wein- und Schnapsfahnen, je nachdem, wem man zu nahe kam.
    Auch der Platz selbst war überfüllt. Überall drängten sich schon die Schaulustigen, und manch ein fliegender Händler an seinem behelfsmäßigen Stand hoffte auf ein gutes Geschäft. Schon gab es regelrechte Andenken, dem Monolithen angeblich täuschend ähnliche Steinsplitter, die für einige Centesimi den Besitzer wechselten. Und natürlich war auch die Partei vertreten, die jedem ein Papierfähnchen in die Hand drückte und den Platz bald in ein grünweißrotes Meer verwandelte.
    Solche Menschenmassen hatte Maximilian seit den Demonstrationen der ersten Nachkriegsjahre nicht mehr gesehen. Und er, der seit dem Großen Krieg Menschenaufläufe jeglicher Art mied, spürte die Beklemmung, wenn er sich durch die Leiber drängte, die Enge, die ihm die Luft nahm. Aber da war auch freudige Erregung, eine allgegenwärtige Spannung, die sich auf ihn übertrug und seinen Puls beschleunigte gehen ließ. Er folgte Laura, die sich gewandt durch die Menge hindurch schlängelte, um eine bessere Sicht auf das eigentliche Ereignis zu haben.
    Am Rande des Platzes, auf der Seite, die dem Dorf und dem Bergwerk zugewandt war, standen die Fotografen. Lautstark besprachen sie sich, schauten immer wieder durch die Sucher ihrer schwarzen Kästen oder verstellten die Beine der hölzernen Stative. Manchmal zogen sie die ganze Apparatur zu einer vermeintlich besseren Stelle, ohne mit dem Ergebnis zufriedener zu sein. Ihr Motiv war zu weit entfernt.
    Auch Maximilian und Laura starrten hinauf. Er stand dicht hinter ihr, und wenn er sich eine Handbreit nach vorne beugte, berührte seine Nase ihre Haare. Sie rochen nach Veilchen und ein wenig nach Zimt. Gerne hätte er sich noch näher an sie gedrängt, hätte ihr die Arme um die Taille gelegt und sie an sich gedrückt. Doch etwas hielt ihn zurück.
    So wäre er vielleicht noch Minuten oder Stunden gestanden, hätte einfach ihren Duft geatmet, ihre Nähe in sich eingesogen, hätte in seinen Körper hineingehorcht, der sich mit jedem Härchen ihr entgegenzustrecken schien, das Kribbeln verfolgt, das von seiner Brust in die Arme strömte und hinunter in die Eingeweide, damit hätte er sich den ganzen Tag oder für immer beschäftigen können, so schien es ihm, doch dann drehte sich Laura um und sagte: „Ich habe eine Idee!“ Sie nahm seine Hand und zog ihn mit sich fort.
    Es wurde eine anstrengende Kletterei. Wie eine Gämse stieg sie voran, und, obwohl es ihm peinlich war, mehr als einmal konnte er ihr nur noch auf Händen und Knien folgen. Immer wieder musste sie innehalten, um ihm zu helfen, auf einen Stein zu zeigen, auf den er steigen, eine Mulde, in der er sich abstützen konnte. Bald war sein brauner Anzug völlig mit Staub überzogen. Kletten und Disteln hingen an seinen Hosenbeinen, und sein rechter Ärmel war zerrissen. Ihm selbst war es nicht viel besser ergangen. Lange Kratzer überzogen die Handrücken, und die Füße und Knie schmerzten. Hinzu kam, dass er an Höhenangst litt. Auch wenn der Weg, den Laura eingeschlagen hatte, ihm keine besonderen alpinistischen Leistungen abverlangte, er vermied es, hinunter auf den kleiner werdenden Platz zu blicken. Schon nach wenigen Höhenmetern, waren die Stimmen und Rufe verebbt, waren die Menschen zu dunklen Punkten geschrumpft, die irgendwelchen seltsamen Mustern folgten. Nur die Rauchfahnen der Feuer zogen zu ihnen herauf.
    Am Dorf vorbei ging es weiter zu einem kleinen Plateau hinauf. Es dauerte fast eine halbe Stunde bis sie am Ziel waren. Nur wenige Meter entfernt öffnete sich der Eingang des Steinbruchs wie eine Bühne vor ihnen.
    Noch im Stehen, noch bevor Laura ihm half, sich notdürftig zu säubern, seine Hände und seine Wunden mit einem Taschentuch und dem Wasser aus der Trinkflasche zu reinigen, starrten sie hinüber. Was von unten wie ein Spalt ausgesehen hatte, ein Riss, der sich gipfelwärts vergrößerte, erwies sich aus der Nähe als der Eingang in einen ausgehöhlten Berg. So weit man der Marmorader nach oben folgen konnte, dem quadratischen Muster, das sich auf den senkrechten

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