Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
Steinwänden abzeichnete und von den ausgeschnittenen Blöcken zeugte, Wände, die feucht schimmerten und deren Weiß in der hochstehenden Sonne rötlich oder golden leuchtete, so weit erstreckte sie sich hinunter in ein tiefes Loch, dessen Boden man mehr erahnen als sehen konnte. Siebzig Meter oder tiefer mochte dieses sein, und es hätte der fast senkrechten Mittagssonne bedurft, um den Steinbruch auch an dieser Stelle auszuleuchten. Der Eingang dagegen war eben. Hier, auf halber Höhe, standen einige Holzbaracken und eine Dampfmaschine, die heute, am Sonntag, nicht in Betrieb war. Unweit des Eingangs verlief der Pfad, auf dem die Arbeiter vom Dorf heraufkamen, darunter verbreitete sich die Abraumhalde zu einer weißen Zunge, die fast bis hinunter auf den Platz reichte. Auch die Schneise für den Transport der Blöcke nahm hier ihren Anfang.
Auf dieser kleinen, von den Steinwänden umschlossenen Fläche, zwischen der stillstehenden Dampfmaschine und den von Wind und Wetter gezeichneten Verschlägen der Bergwerksverwaltung lag der Monolith.
Er war tatsächlich weiß, so weiß, dass er aus sich heraus zu leuchten schien. Als habe er sich mit einer geheimnisvollen Kraft aufgeladen, eine Energie, die er Jahrmillion für Jahrmillion dem Berg abgetrotzt und in sich gesammelt hatte, brannte etwas in ihm, verschwenderisch verzehrte er sich, als könne der Vorrat ebenso viele Millionen Jahre vorhalten oder für immer. Aber es war weder Feuer noch Licht noch Magnetismus, weder Radioaktivität noch Elektrizität, was ihn erfüllte. Er war kalt wie ein Diamant, und wie bei diesem lag seine Kraft in der Schönheit, in der Vollkommenheit der Form und der Farbe, in der Reinheit des Stoffes. Eine Schönheit, die keine Steigerung zuließ und keinen Vergleich duldete. Und vielleicht war es diese Schönheit, eine endgültige, eine zeitlose Schönheit, wie sie nur etwas wirklich Vollkommenes auszustrahlen vermag, die den Betrachter ergriff, aber auch beunruhigte, die die Brust zuschnürte und zu Tränen rührte. Es war, als blicke man in einen Spiegel, in dem man seine eigene Unzulänglichkeit sah, seinen bevorstehenden Tod. Wie eine Mahnung oder Drohung lag der Stein am Rande des Hangs. Er glich einem archaischen Gott, den man anbeten oder beschwören musste, der Opfer verlangte und gute Vorsätze, der Gebote erließ und Verbote. Wie ein talwärts gerichtetes Geschoss, einem gewaltigen Rammbock gleich, lag er auf den Holzstämmen, bereit, sich hinabzustürzen, dem Meer entgegen, das im Dunst des Sommertages auf ihn wartete. Er würde die Stadt zerschneiden wie ein Messer, hindurchgehen durch Häuser und Mauern, auf Straßen und über Brücken rutschen hinunter zum Hafen, um schließlich die Kaimauer zu durchbohren und hinauszuschwimmen auf die offene See, hinaus auf den Grund des thyrrenischen Meeres. Und überall stünden die Menschen, stünden andächtig entlang dieser Bahn der Zerstörung, so andächtig als sei der Monolith tatsächlich etwas Überirdisches und nicht der heimatlichen Erde Entstammendes.
Erst jetzt verstand Maximilian die Dorfbewohner. Der Stein war wie eine Frage, auf die es keine Antwort gab. Wer ihn sah, so sah, wie Laura und er ihn jetzt sahen, musste sich unweigerlich fragen, warum er gerade jetzt gefunden wurde. Musste etwas so Vollkommenes und Seltenes, ja, Einmaliges nicht zwangsläufig eine Ankündigung oder Verheißung sein? So bedeutungsschwer war dieses Zeichen, das eine halbe Ewigkeit im Berg gewartet hatte, um jetzt herausgezogen zu werden an die Luft, an die Sonne, um sich den Menschen zu zeigen, die ebenso lange darauf gewartet zu haben schienen.
Maximilian und Laura saßen nebeneinander auf dem steinigen Boden. Sie hatte ihre Knie mit den Armen umschlungen und ihr Kinn darauf gestützt. So wie er sah auch sie hinüber zu den Arbeitern, die die Baumstämme zurechtsägten. In einem hölzernen Käfig sollte der Stein auf seinen Weg hinunter zum Hafen gebracht werden.
Dann erzählte sie ihm von der Arbeit im Bergwerk, von den Sprengungen, mit denen die Marmoradern freigelegt wurden, von den Stahlseilen, die durch feuchten Sand gezogen den weichen Stein schnitten, von der lizzata , die auch jetzt bevorstand. Es war eine harte und gefährliche Arbeit. Immer wieder ereigneten sich schwere Unfälle, kamen Männer zu Tode.
Maximilian fragte sie, woher sie das alles wisse. Sie lachte. „Das weiß hier jeder. Viele, die unten in den Dörfern leben, haben früher in den Bergwerken gearbeitet. Wer kann,
Weitere Kostenlose Bücher