Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
in den Bergen dahinter lagen Millionen Tonnen Marmor. Die Arbeiter, die jetzt an der hölzernen Kiste zimmerten, ihre Enkel und Urenkel würden sie Stück für Stück aus dem Berg schneiden. Sie würden Jahrhunderte dafür brauchen, Jahrhunderte oder Jahrtausende. Und er saß hier und machte sich Sorgen, in seiner Hand könnte etwas stehen, das sein Leben entschied? Könnte dort stehen, wen er heiratete und wie viele Kinder er mit dieser Frau hätte? Angesichts der gewaltigen Bergkulisse, die ihn umgab, kam ihm dieser Gedanke lächerlich und kleinmütig vor.
„Wussten Sie übrigens, dass M amma Hebamme ist? Sie wird allerdings nur noch selten gerufen. Seitdem wir in der Stadt ein richtiges Krankenhaus haben, gehen die Frauen lieber dorthin. Wissen Sie, die Krankenkasse bezahlt jetzt alles.“
Als sei sie von beiden vergessen worden, lag seine Hand auf ihrem Knie. Er zog sie zurück, um ihr den Arm um die Schulter zu legen. Steif saßen sie eine Weile nebeneinander. Keiner rührte sich. Dann machte sie sich los.
„Wissen Sie, wir haben jedes Jahr Gäste. Menschen aus ganz Europa. Vor allem Männer, junge Männer. Viele interessante und auch anziehende Männer. Manchmal ist jemand dabei, in den könnte ich mich verlieben. Seit der ersten Saison nach dem Krieg machen sie mir den Hof. Da war ich zwölf. Das Meer macht hungrig, wie man hier sagt, und nicht nur auf Essen. Die Luft tut ein übriges, die Einsamkeit...“ Sie dachte an ihre leichtfertige Schwester, die sich jedes Jahr von neuem verliebte, um dann den ganzen Herbst hindurch zu leiden bis Weihnachten, manchmal länger. „Ich bilde mir nichts darauf ein, wissen Sie. Es gibt nicht viele Frauen, die bei uns herumlaufen. Meine Mutter, Concetta, Vittoria.“ Sie lachte. „Mein Busen war gerade mal so groß“ - sie nahm einen kleinen Stein in die Hand und warf in weg - „da ging’s los.“ Sie stand auf. „Im Principe wird jedes Jahr eines der Mädchen schwanger. So ist das hier.“ Fast entschuldigend fügte sie hinzu: „Das ist nicht das Leben, das ich will. Verstehen Sie das?“ Es war keine richtige Frage. „Kommen Sie, lassen Sie uns zurück gehen! Die anderen werden schon auf uns warten.“ Sie reichte ihm die Hand und half ihm aufzustehen.
Dicht beieinander standen sie auf dem kleinen Vorsprung. Der Wind strich ihr durch die Haare, und er hätte sie umarmen können, an sich drücken, so wir er es sich schon die ganze Zeit gewünscht hatte. Stattdessen fragte er sie, ob sie sich nicht duzen könnten.
„Du bist schon ein komischer Kerl!“ Lachend machte sie sich an den Abstieg.
Der Platz begann sich zu leeren. Lange Schatten hatten sich darauf gelegt, und die Hitze war einer feuchten Kühle gewichen. Irgendwo sangen einige angetrunkene Arbeiter. Ansonsten war es ruhiger geworden, fast still. Die Pensionsgäste und die Wirtsfamilie waren schon zu den Wagen zurückgegangen. Als Maximilian und Laura sie endlich erreichten, erschien die sonst so fröhliche Urlaubsgesellschaft ungewohnt ernst. Man stand schweigend zu zweit oder zu dritt um das hoteleigene Fuhrwerk. Selbst Scott, der immer zu einem Scherz aufgelegte Amerikaner, nickte ihnen nur kurz zu. Piero und Sandro standen auf dem Wagen. Lauras Mutter weinte still in ein großes weißes Taschentuch.
„Mamma, was ist passiert?“ Laura war sofort zu ihrer Mutter gestürzt und von ihr schluchzend umarmt worden.
Als Maximilian sich dem Wagen so weit genähert hatte, dass er hineinschauen konnte, sah er, dass auf einer der Bänke Stefano lag, Lauras älterer Bruder. Blut lief ihm aus der Nase. Auf der Stirn hatte er eine große Platzwunde. Mit einem blutdurchtränkten Tuch versuchte Piero zu stillen, was aus einer Schnittwunde in der Backe quoll. Immerhin schien er zu leben, auch wenn man ihm nicht ansehen konnte, ob seine schmutzige und zerrissene Kleidung innere Verletzungen oder Brüche verbarg. Mit einem barschen und für Maximilian unverständlichen Befehl wies Piero Sandro an, die Pferde anzuspannen.
Dann bat er alle aufzusteigen. „Herrschaften, bitte! Wir fahren jetzt zurück. Es besteht kein Anlass zur Beunruhigung. Es ist nur ein Kratzer. Das kommt davon, wenn man sich mit der Dorfjugend prügelt.“ Er schien tatsächlich mehr auf seinen Sohn wütend zu sein, als auf jene, die ihn so zugerichtet hatten. „Kinderkram, glauben Sie mir, sonst nichts. Nur Kinderkram!“
5. Kapitel
Einem italienischen Flieger gewidmet
Der 8. Oktober ging lärmend ins Land,
er erhob ihn
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