Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
feierlich in den Soldatenstand.
Fliegen muss er, nach Norden, nach Westen,
zu Bunkern und Gräben vom Grauen gepackt.
Den Finger am Abzug, ein schlingernder Kreisel,
bringt er den Tod den Infanteristen.
Wie wird der Tod
bis zur Weißglut gereizt?
Dachhoch türmt man die Leichen.
Waggonweise Blut, verpestete Luft,
lautlos steigt die Leiber-Flut.
Krieg! Krieg! So musst du ihn nennen,
Reiche verbrennen, veröden, verlieren,
die frisch Getöteten gähnen,
es grölen die Abendgeröteten.
(...)
Sie war da, sie war nicht da.
Wenn Laura Wein hereinbrachte oder Oliven, selbstgebackene cantuccini oder dünn aufgeschnittenen, milden Speck, dann blieb sie für eine kurze Spanne in der Tür stehen. Die Hände hatte sie im Schoß gefaltet, und die weiße Schürze leuchtete durch das Halbdunkel zu ihm herüber als schütte der Vollmond, der gerade hinter dem Altissimo aufgegangen war, sein ganzes Licht nur auf sie aus. Sooft er die Augen von seinen Blättern hob, wurde sein Blick von diesem weißen Feuer wie ein Magnet angezogen, und durch das flackernde Licht der Öllampen und die rauchschwere Luft suchte er ihre Augen, ihren Mund, erhoffte er sich ein Lächeln, ein Neigen des Kopfes, ein Zeichen des Einverständnisses. Und sie schien berührt von seiner Stimme, von den Versen, in denen er all den Nachdruck legte, zu dem er fähig war, seine ganze Trauer und seine ganze Sehnsucht. Doch sie blieb ernst, so seltsam ernst, als stünde sie in ihrer Bank in der dritten Reihe der kleinen Kirche San Ermete und der rosagesichtige Pfarrer läse von der Kreuzigung Jesu, dem Martyrium der Heiligen oder einem anderen der bluttriefenden Geheimnisse des Glaubens. Vielleicht gab es tatsächlich keinen Anlass zu Lachen, zu Lächeln, während der beschworene Bruder, jener tote Vieri, der in dieser Nacht wie jede Nacht in seiner frisch gebügelten Uniform an ihrem Bett sitzen würde, immer wieder aufs neue in sein Fluggerät stieg, um den Österreichern Tod und Verderben zu bringen oder um hinauszufliegen aufs Meer wie an jenem Herbstmorgen im ersten Nachkriegsjahr, hinauszufliegen, ohne an eine Rückkehr zu denken.
Und wenn sie hinaus gegangen war und sein Blick ins Leere fiel, dann stockte er. Dann klangen seine Worte in ihm nach, und so voll und lebendig, so großartig sie ihm wenige Augenblicke zuvor erschienen waren, so hohl und nichts sagend kamen sie ihm jetzt vor. Es war, als sei ihnen eine unsichtbare Substanz entzogen worden, eine Bedeutung, die nur die Anwesenheit Lauras ihnen zu geben vermochte, etwas, was aus zusammenhangslosen Buchstaben und leeren Metaphern Leben schuf, Leben oder auch Tod, zum Lachen reizte oder zum Weinen. Dann trank er einen Schluck vin santo , sah in die Gesichter der Freunde, als könne er dort einen Teil dessen wiederfinden, was ihm verloren schien, und der aufmunternde Blick Scotts, die skeptisch hochgezogenen Augenbrauen Massimo Giacomettis, das Lächeln Germaines brachten ihn zurück in die Wirklichkeit, ließen ihn einen Teil jener Sicherheit wiederfinden, die er zum Weiterlesen brauchte.
Und so sollte es an diesem Abend bleiben. Laura blieb ein Gespenst, das so plötzlich verschwinden konnte, wie es auftauchte, das auf eine geheimnisvolle Weise in seiner Anwesenheit entfernt und seiner Abwesenheit nahe erschien. Es war da und doch nicht da, wie ein Versprechen füllte es den Raum, wenn es fehlte, und konnte dieses dennoch nicht einlösen, kehrte es zurück. Und im Rhythmus ihres Kommens und Gehens schwankte auch Maximilian zwischen Hoffnung und Enttäuschung.
Als er dann schließlich geendet hatte, erhob sich Beifall. Das Licht wurde höher gedreht, und man prostete ihm zu. Laura war hinausgehuscht, und Maximilian kam hinter seinem Stehpult hervor, um mit den anderen anzustoßen.
„Respekt, mein lieber Maximilian, Respekt“, Boris, der jüngere Russe, klopfte ihm auf die Schulter, „das ist die Dichtung der Zukunft!“ Seine dicken Brillengläser waren beschlagen, und die Augen erschienen seltsam verschwommen. „Ich habe zwar nicht alles verstanden, doch ich sage nicht zuviel, wenn ich behaupte, dass Sie in bester futuristischer Tradition schreiben.“ Er wandte sich an Lidia, die neben ihm stand und müde blinzelte. „Hätten Sie das von einem deutschen Dichter erwartet? Wir wissen natürlich, dass Italien...“
Plötzlich redeten alle durcheinander, und Maximilian war froh, dass er nichts Geistreiches zu erwidern brauchte, dass er sich darauf beschränken
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