Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
und ihr "erstes Mal" war so selbstverständlich gewesen, als sei es nur die folgerichtige Fortsetzung der Doktorspiele ihrer Kindheit. Ein paar Jahre zuvor hatte er schon ihren aufknospenden Busen geküsst und seinen ersten Erguss gehabt, als er sich über sie beugte. Er hatte sich zu ihr gedreht, hatte sich auf sie legen wollen, als sein Penis zu zucken begann. Die Schwerkraft hatte genügt, um ihn ausfließen zu lassen, ganz ohne sein Zutun, eine Schwerkraft, die an seinen Hoden und Lenden gezerrt hatte, so als brauche es nur von der Rücken- auf die Bauchlage zu wechseln, um ein Kind zu zeugen. Er hatte nichts dabei gefühlt, gar nichts. Nur seine Unterhose war nass geworden, und, obwohl auch Anne halb angezogen gewesen war, er hatte gefürchtet, sie könne schwanger geworden sein. Monatelang hatte er sie beobachtet, hatte auf Anzeichen von Übelkeit geachtet, und als sie nach Wochen in der Mittagshitze über Schwindel klagte, war er sich sicher gewesen, Vater geworden zu sein. Später erzählte sie ihm, sie habe zu jenem Zeitpunkt noch gar nicht ihre erste Regel gehabt, und sie hatten herzlich gelacht.
Nach diesem Erlebnis war er ihr aus dem Weg gegangen. Sie hatten sich nachmittags nicht mehr unterm Dach des Goldschmidt'schen Verlagshauses getroffen, und auch ihre gemeinsamen Besuche im Café König wurden seltener. Eine Weile versuchten sie es mit anderen Freunden. Er mit einer langen Reihe adrett gekleideter Reederstöchter, die wunderbar parlierten, sich beim Küssen aber fast zu Tode kicherten. Sie mit verwegenen Burschen, die ihr zwischen die Beine fassten und bei ihrem Vater schon wegen ihres Äußeren keine Gnade fanden.
Kurz nach Ausbruch des Krieges, waren sie wieder zusammengekommen. Sie nahm ihn bei der Hand, führte ihn in ihr Zimmer, zog sich aus und legte sich aufs Bett. Die Sonne fiel honiggelb auf ihre blasse Haut, auf die rotblonden Haare zwischen ihren Beinen, sie öffnete ihre Schenkel, um ihn hereinzulassen, und er drang in sie ein, leicht, küsste ihre voller gewordenen Brüste, und dann kam er, und diesmal wollte er kommen, und sie stieß einen kleinen Schrei aus, und dann seufzte sie und drückte ihn an sich. Später lag er an ihrem Busen, müde und erstaunt, wie einfach das Leben war.
Anfang zwanzig hatten sie sich getrennt, und die Reederstöchter ließen sich jetzt küssen, ohne dabei kichern zu müssen, sie ließen alles mit sich machen, nur schlafen wollten sie mit ihm nicht. Ihre Unschuld war ein kostbares Kapital, das sie hinüber in den Stand der Ehe zu retten gedachten, in eine Ehe, die ihre Väter mit anderen Vätern aushandelten, als verkauften sie ein Schiff, zumindest aber eine wertvolle Ladung. Ein paar Mal ging er zu Prostituierten, und sie waren genauso bereitwillig, wie es Anne seinerzeit gewesen war. Überhaupt schienen ihm die Unterschiede eher gering, und er dachte, das müsse bei allen Frauen so sein.
Umso erstaunter war er, dass bei Laura alles ganz anders war. Und vielleicht war Laura tatsächlich eine Ausnahme, jene Frau, die man im Leben nur einmal trifft, bei der es Zufall oder glückliche Fügung ist, dass sie nicht die erste ist. Denn wenn es zwei oder drei gibt, die vorher waren, zwanzig oder dreißig, hat man das Glück, sie an ihnen messen zu können.
Nach Giacomettis Lesung hatte Maximilian sie zum ersten Mal bedrängt. Der Juli war schon weit fortgeschritten, und mit jedem Tag, der verging, wuchs seine Furcht, die Zeit der freudigen Erwartung könne übergangslos in eine des Abschiednehmens übergehen, in ein Zuspätsein, das umso schmerzlicher sein musste, wenn ihm keine oder eine nur kurze Zeit der Erfüllung vorangegangen war. Es war auch die Zeit, in der er zum ersten Mal daran dachte, für immer in Italien zu bleiben, Anne und seine Lektorenstelle aufzugeben, um vielleicht Piero in der Pension zu helfen und sich von Matteo in der Kunst der Bildhauerei unterweisen zu lassen. Schließlich war Pietrasanta berühmt für seine Schulen, und nachdem Giacometti in seinem Vortrag eine neue Kunst beschworen hatte, eine Kunst, die gleichgültig ob Malerei, Lyrik oder Musik, die Ausdruckskraft Wagners und Nietzsches haben müsse, warum sollte es ihm da nicht gelingen, seine Verse gleichsam in Stein zu hauen, die Worte, die sich in seinem Innern stauten, zu Marmor gerinnen zu lassen, zu makellosem Statuario ?
„All das, was es bislang an Kunst gibt, vermag es nicht, den großen Zustrom neuer Ideen, Stimmungen und Gefühle zu erkennen, die auf der Schwelle
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