Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
woher man gleich zwei Automobile hätten genommen werden können.
Während sie zu Tisch saßen, hatte es ein kräftiges Gewitter gegeben, eines jener Unwetter, die im Sommer mit der Dämmerung vom Meer heraufziehen und manchmal abends, manchmal erst nachts das Land von der Küste bis hinauf zu den Passstraßen überschwemmen. Ein Trommelfeuer an Blitzen, das die Berge flackernd aus dem Dunkel der Nacht heraustreten lässt, während der Donner von den Echos vielfach verstärkt zum Meer zurückrollt. Der Sturm biegt die Bäume bis auf den Boden und peitscht die Brandung die Uferstraße hinauf. Wenn sich dann eine der seltenen Windhosen bildet, kleine Wirbelstürme, die wie im Vorjahr lange Schneisen der Verwüstung in den Pinienwäldern hinterlassen, dann sind die Menschen froh, ein festes Dach über dem Kopf zu haben, dann kehren sie am nächsten Tag gleichmütig die Scherben der Ziegel von der Straße und setzen die umgestürzten Pflanzen in neue Kübel.
Nun hatte der Regen nachgelassen. Dicke Tropfen sammelten sich auf den Blättern der Platanen und fielen klatschend in die Pfützen. Der Boden schien zu dampfen, und durch das einzig geöffnete Fenster drang die nach Erde und Staub schmeckende Feuchte in den Salon. Selbst die Zikaden waren verstummt.
Maximilian hatte einen der seltener gewordenen Briefe an Anne begonnen. Er spielte mit der Feder, unentschlossen, was er schreiben sollte, zu sachlich waren seine Reiseberichte geworden, ohne Begeisterung wiedergegebene Anekdoten, lustlose Schilderungen eines gleichförmig wirkenden Alltags, des Immergleichen, so musste es Anne als Leserin erscheinen. Lidia spielte Rachmaninow, auf Arkadijs Wunsch offenbar, denn dieser lehnte am Flügel, rauchte, und obwohl er durch das geöffnete Fenster hinaus in die Nacht starrte, war er wohl in Gedanken woanders, denn später sollte er angeben, nichts gesehen zu haben, weder einen Menschen noch sonst etwas Verdächtiges. Germaine und Boris tanzten eng umschlungen im hinteren Teil des Raumes.
Im ersten Augenblick dachte jeder, ein verspäteter Blitz habe eingeschlagen, ein fulmine , wie Eleonora Petrelli betonte, wenn sie die Geschichte unermüdlich wieder und wieder erzählte, zwar war nicht sie selbst getroffen worden, doch war das Weinglas in ihrer Hand in tausend Stücke zersprungen, und wäre die Tochter ihr nicht geistesgegenwärtig in den Arm gefallen, hätte sie den scharfzackigen Stil, den sie noch mit blutenden Fingern hielt, womöglich zum Mund geführt, um zu trinken. Der Schock! Wussten sie, dass man da die seltsamsten Dinge tut? Auch Massimo Giacometti, der unmittelbar vor dem Fenster saß, hatte nichts gespürt, als die Glassplitter auf ihn heruntergeregnet waren. Erst als er sich am Kopf kratzte und eine klebrige Feuchtigkeit spürte, entdeckte er die Wunde. Aber es war nur ein Kratzer, der von Piero aufwändig versorgt und mit Alkohol gereinigt wurde und ihm zudem die fürsorgliche Zuwendung von Mutter und Tochter einbrachte. Wie durch ein Wunder wurde sonst niemand verletzt. Doch der Schrecken saß tief, und für den Rest des Sommers sollten sie die seltenen abendlichen Mahlzeiten im Salon mit Unbehagen zu sich nehmen.
Den Stein fanden sie erst später. Der faustgroße Brocken war durch den ganzen Raum geflogen und unter die Kommode gerollt, ohne dass ihn jemand gesehen hätte. Es bedurfte einer kriminalistisch veranlagten Persönlichkeit, die sich zur allgemeinen Überraschung in Germaine fand, um überhaupt etwas zu vermuten, eine Ursache, nachdem man die Wirkung so eindrucksvoll erlebt hatte. Dass es sich bei dem Stein um reisten weißen Marmor handelte, Bianco P , wie Matteo sofort und ungefragt fachkundig anmerkte, mochte Zufall sein, bedienten sich doch die Menschen im Umkreis von fünfzig Kilometern des Abraums der Steinbrüche, der ravaneti , wie man in dieser Gegend sagte, der wie üppig gefallener Schnee sommers wie winters die Berge bedeckte, wenn sie Steine oder groben Kies benötigten. Eindeutig dagegen war das Wort, das auf dem Blatt Papier zu lesen war, in das man den Stein fest gewickelt hatte, ein einziges Wort in großen, roten, wie mit Blut geschrieben Lettern TRADITTORE! , was soviel wie Verräter hieß, wie Massimo Giacometti ungefragt übersetzte, ohne es zu versäumen, auch auf die mangelhaften orthographischen Kenntnisse des Täters hinzuweisen.
8. Kapitel
Maximilian hatte mit Anne geschlafen. Schon früh, mit fünfzehn oder mit sechzehn. Sie war ein paar Monate älter als er,
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