Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
Vom Netzwerk:
„Wenn sie nicht dumm, schwul oder impotent sind, sollten Sie die Gunst der Stunde nutzen. Eine solche Gelegenheit bekommt man im Leben nicht oft! Und das sagt Ihnen ein Mann, der es wissen muss.“ Dann begann er das eine oder andere anatomische Detail der beiden zu bemühen und wollte gerade zu den Stellungen übergehen, die sich seiner unmaßgeblichen Meinung nach, wie er betonte, anböten, als ihn ein finsterer Blick Maximilians innehalten ließ. „Verzeihen Sie, mein stiller Freund, ich vergaß, dass sie einer holden Jungfrau im fernen Deutschland versprochen sind.“ Und er stieß ihn zwinkernd mit dem Ellbogen an.
    Am nächsten Tag war es windstill. Die Luft war durchsichtig wie selten im Sommer, und die Berge schienen so nah, als könne man die Blöcke, die man aus ihren Gipfeln schnitt, direkt ins Meer stoßen. Von den Gewittern der letzten Tage sauber geschliffen, umschlossen sie den Himmel wie eine unüberwindliche Wand. Als habe es in der Nacht ausgiebig geschneit, klafften die weiß blutenden Wunden der Steinbrüche.
    Es sollte der große Tag werden. Es sollte der Tag werden, an dem Scott, der Amerikaner, über das Wasser zu schweben gedachte, gezogen von der Kraft von zwei Dutzend Pferden. Dass es dann ganz anders kam, war nur einem Zufall zu verdanken, einem jener Zufälle, die nach zwanzig oder fünfzig Jahren als Fügungen des Schicksals erscheinen, als Notwendigkeiten, die manchmal über Leben und Tod entscheiden, meistens sich aber mit Geringerem zufrieden geben.
    Concetta hatte nicht geruht, bis die Kunde des bevorstehenden Ereignisses zu den entlegensten Winkeln der Küste gedrungen war. Dieses Mal würden sie ihr glauben müssen. Glauben ohne Wenn und Aber. Jetzt sollten alle büßen, die sie Klatschweib schimpften, aufgeblasenes Frauenzimmer und Schlimmeres! Und ohne das bewährte Korrektiv, das einen Großteil des Sensationswertes gleich wieder abzog, wuchs das Gerücht ins Unermessliche.
    Waren sich die einen sicher, ein amerikanischer Prophet würde das Wasser teilen wie einst Moses das Rote Meer, teilen oder aber ersatzweise darüber hinwegwandeln zu Fuß wie Jesus, wussten die anderen ganz genau und aus erster Hand, ein Traktor oder Lastwagen, eine Lokomotive solle von der Verladestation bis nach Carrara schwimmend einen riesigen Marmorblock ziehen, den Monolithen möglicherweise, aber das stünde noch nicht fest.
    So hatten sich neben dem halben Dorf auch Menschen aus der ganzen Umgebung am Strand versammelt. Die Arbeiter der Verladestation hatten ihre Arbeit unterbrochen, und die Touristen waren mit Hüten und Schirmen aus den nahen Badeanstalten zusammengeströmt, als gelte es, das große Feuerwerk an Mariä Himmelfahrt zu bestaunen. Der beste Platz schien jener auf der Landungsbrücke, und diese ächzte unter dem Gewicht der Schaulustigen wie schon seit ihrer Einweihung im Jahre 1877 nicht mehr.
    Wäre Piero geschäftstüchtiger gewesen, hätte er den Strand abgesperrt, um Eintritt zu verlangen. Schließlich konnte er mit einigem Recht die Urheberschaft an der Vorführung für sich beanspruchen, waren doch alle Beteiligte seine Gäste. Er beschränkte sich darauf, seine Kinder mit großen Körben herumgehen zu lassen, um belegte Brötchen und bomboloni zu verkaufen, ringförmige, in heißem Fett ausgebackene Krapfen, die zum Teil mit Creme, zum Teil mit Konfitüre gefüllt waren.
    Es erinnere ihn an die große Flugschau in Brescia, 1909. Maximilian, der nicht zuletzt deswegen beim Wirt stand, weil er hoffte, in seiner Nähe auf Laura zu treffen – seit ihrem fluchtartigen Aufbruch am Vorabend ging sie ihm aus dem Weg –, nahm seinen Hut ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Noch war nichts von Scott oder Matteo oder ihrer Höllenmaschine zu sehen. „Sie wissen gar nicht, wie oft ich diesen Tag verflucht habe!“ Er sei mit seinen beiden Ältesten dort gewesen und mit fünfzigtausend anderen Verrückten. Jeder Flugbegeisterte Italiens sei dahin gepilgert. Alle wollten die sagenhaften Flugmaschinen sehen. Fliegen! Jahrtausendelang war das nur ein Traum, und plötzlich sollte jeder, der wollte, einfach in ein solches Gerät steigen können und fliegen ? Unvorstellbar! „Ich bin sicher, mein Sohn würde heute noch leben, hätte er sich dort nicht mit jenem Bazillus angesteckt.“ Wie eine unheilbare Krankheit sei das gewesen. Aber so war das damals, und ahnen, das hatte er beim besten Willen nicht können, niemand hätte es können. Selbst Puccini war da gewesen, der große

Weitere Kostenlose Bücher