Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
Berichten, Karten und anderen Unterlagen. „Und den Seewald, den nehmen Sie mit. Den habe ich zu Ihrem Privatvergnügen abgestellt.“ Sein Lächeln verbreitete sich. „Sie sehen, wir wollen, dass Sie es Ihnen gut geht.“ Er deutete einen militärischen Gruß an. „Und jetzt fahren Sie! Willkommen in Italien, von Kampen.“
Italien. Maximilian schloss die Augen. Sie fuhren die kurvenreiche Straße durch das Tal des Magra hinunter zur Küste. Der Fahrtwind schlug ihm ins Gesicht. Tief sog er die Luft in sich ein. Das Meer. Er suchte das Meer. Zwischen den Gerüchen der Gewürze, die in seine Nase drangen, dem Rosmarin, dem Thymian, den Wacholderbeeren, zwischen den Auspuffgasen der Wehrmachtsfahrzeuge, die bergab fuhren, und den Ausdünstungen der wenigen Esel und Ochsen, die bergan getrieben wurden, der Schafe auf den verdorrten Weiden, irgendwo dort draußen musste das Meer sein. Salz, Seetang, Fisch. Wonach riecht das Meer? Dreißig Kilometer, eine Stunde, und er wäre zurückgekehrt.
„Sie sehen müde aus, Herr Hauptmann.“ Seewald saß vorne neben dem Fahrer, eine Maschinenpistole auf dem Schoß. Aufmerksam beobachtete er die Straße, die Landschaft, die langsam an ihnen vorbeizog.
Maximilian zog die Mütze ab und hielt sein Gesicht in die tief stehende Sonne. Es war noch immer warm, der Himmel wolkenlos. Dunst lag im Tal und vermischte sich mit dem Staub, den die Fahrzeuge aufwirbelten. Der Fluss war fast vollständig versandet, die Wälder waren trocken, und wenn der Wind über einem Kamm strich, raschelten die Blätter wie Papier. Seit Wochen schien es nicht geregnet zu haben.
Er öffnete die Augen. Dort war das Meer. Ein schmales Dreieck, das zwischen Himmel und Erde in der Sonne schimmerte. Grauer als der Himmel und nur wenig heller als die Berge davor. Im schrägen Licht des Abends schien jedwede Farbe aus den Dingen gesickert, und Maximilian meinte, eine alte Fotografie zu betrachten, ein Bild, das an manchen Stellen ins Bräunliche, Bläuliche oder Gelbliche glitt.
An einem solchen Tag musste Vieris Beerdigung gewesen sein, dachte er flüchtig. Laura.
Er hatte achtzehn Jahre lang an sie gedacht, nicht täglich, aber doch bis zuletzt, und, seitdem er seinen Marschbefehl hatte, häufiger als je zuvor. Was mochte aus ihr geworden sein? Er dachte an jenen Septembermorgen zurück, als sie ihn zum Bahnhof von Pietrasanta gebracht hatte. Ein halbes Leben war das her, und doch spürte er einen Stich in der Brust. Sie hatte gelächelt, war fast fröhlich gewesen, und beide hatten sie so getan, als sei es nur eine kurze Reise, als käme er am selben Abend schon zurück, am nächsten Tag. Sie hatte in ihrem weißen Kleid auf dem Bahnsteig gestanden und gewinkt, eine helle Gestalt, die langsam geschrumpft war, im Dampf der Lokomotive verblasste und doch in seine Netzhaut eingebrannt schien. Das letzte Bild.
Er griff in die Tasche. Der zerbrochene Propeller mit dem Namenszug war zu einer Art Talisman geworden, den er immer bei sich trug. Wie tausend Mal davor fuhr er mit den Fingern über die silbernen Buchstaben, über den stilisierten Rotor mit dem zerbrochenen Blatt. Das hatte sie ihm beim Abschied in die Hand gedrückt. "Damit du zurückkommst", hatte sie gesagt und ihn ein letztes Mal geküsst.
Kurz vor Aulla kamen sie an eine Straßensperre.
Die Sonne stand eine Handbreit über dem Meer und warf einen rötlichen Schimmer auf die kahlen Spitzen der Berge. Ein verbeulter Armeelaster versperrte die Straße. Gleich dahinter und schon fast im Straßengraben ein Wagen der Carabinieri. In beiden Richtungen stauten sich Fuhrwerke, Frauen, die schwere Handkarren zogen, Männer, die Spaten oder Heugabeln trugen. Dazwischen stand ein halbes Dutzend Milizionäre herum. Jemand grüßte und winkte sie durch.
„Was ist hier los?“
„Die Italiener suchen ihre Armee.“ Seewald grinste. „Bei der Gelegenheit erheben sie gleich Wegezoll. Ein paar Kartoffeln, ein Sack Kastanienmehl. Wenn die Frau hübsch ist, auch mal was anderes.“
„Halten Sie mal an!“ Mit einem Ruck blieb der Kübelwagen stehen. Maximilian zog seine Mütze auf und klopfte sich den Staub von der Uniform. Langsam ging er zurück.
Auf den Pritschen des Lasters saßen zerlumpte Gestalten, Bauern zumeist, wie es den Anschein hatte, junge unrasierte Männer und ein paar alte. Sie wurden von zwei rauchenden Carabinieri bewacht, die ihre Gewehre lässig in der Armbeuge hielten.
„Wer hat hier das Kommando?“ Der kleinere der Carabinieri
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