Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
Mann zwischen achtzehn und fünfzig Jahren -, doch beschränkten sie sich darauf, diese entweder zu kriegswichtiger Arbeit zwangszuverpflichten oder neuen, im Entsehen begriffenen Armeeverbänden zuzuteilen. Es waren Anweisungen, die nur wenige Tage lang befolgt wurden, gerade so lange, bis sich die Betroffenen wieder bei ihren Familien einfanden oder in die Berge flohen. Es war ein Katz-und-Maus-Spiel, das meistens, sah man von Schlägen und manch einer Demütigung ab, glimpflich verlief.
Waren es die Partisanengruppen, die über den Winter fast ebenso viel Zulauf erhalten hatten wie die vom Regen zu reißenden Flüssen geschwollenen Bäche? Hatte sich die Ansicht durchgesetzt, das Land sei gegen den eigenen Willen nicht zu halten? Jedenfalls wurde das besetzte Italien in diesen Tagen ultimativ aufgefordert, eine halbe Million Mann zu mobilisieren. Andernfalls würden die Besatzungstruppen abgezogen. Eine Drohung, die keine war, und doch beeilte man sich, Einberufungsbefehle zu schreiben, und jedem die sofortige Erschießung anzudrohen, der sich diesen entzog.
Auch Vieri erhielt eines Morgens ein solches Schreiben, unerwartet, denn es fehlten noch einige Wochen bis zu seinem achtzehnten Geburtstag, und da er keine Vorstellung hatte, was er tun sollte, machte er sich auf den Weg nach Carrara zu Ginas Haus, um seinen Onkel Stefano um Rat zu fragen. Am liebsten wäre er sofort in die Berge gegangen - ein Leben, das er sich voller Abenteuer und Heldentaten vorstellte und das er genauso herbeisehnte, wie das Ende der Untätigkeit, zu der er verurteilt war, seitdem die Steinbrüche geschlossen worden waren. Er hatte sich mit Gelegenheitsarbeiten durchgeschlagen, hatte den einen oder anderen Kurierdienst für die Widerstandsbewegung übernommen, doch war das kein Leben gewesen, das einem richtigen Mann zustand, denn als ein solcher fühlte er sich, seitdem der Vater in den Krieg gezogen war.
Aber Stefano war der Ansicht, er sei dem Widerstand nützlicher in Uniform als frierend, unbewaffnet und hungrig in einer Berghöhle, und so meldete er sich, trotz seiner Enttäuschung, am nächsten Tag beim Bezirkskommando in Massa. Er wurde zum Dienst beim Militärgericht von La Spezia eingeteilt.
Auch in der Beziehung zwischen Maximilian und Laura hatte sich eine Wandlung vollzogen.
Nach der schallenden Ohrfeige, deren Schmerz er angesichts der überraschenden Eröffnung kaum verspürt hatte, begannen sie, wieder miteinander zu reden, und Maximilian wunderte sich, dass er die Monate der Sprachlosigkeit so ergeben hingenommen hatte, so selbstverständlich, als rechtfertige die Zeit, die zwischen dem Jetzt und dem Früher lag, die Fremdheit, mit der sie sich begegneten, als zwängen sie ihre nur oberflächlich vernarbten Wunden, sich gegenseitig aus einer sicheren Entfernung zu beobachten. Hinzu kam, dass er sich schuldig fühlte, schuldiger noch, als er sich schon die ganze Zeit gefühlt hatte, und so war er es, der auf sie zuging, der sich um sie bemühte, der versuchte auszuräumen, was nicht auszuräumen war.
Schon am nächsten Tag fragte er sie, warum sie ihm nicht geschrieben habe, ob sie in jenem Sommer schon gewusst habe, dass sie schwanger war, er stammelte, er meine, ob sie es schon gewusst habe, als er noch hier gewesen sei. „Ich wollte, dass du meinetwegen bleibst, dass du meinetwegen zurückkommst“, antwortete sie, und er starrte sie an, dachte an die junge Frau, die er gekannt hatte, versuchte die Härte in ihren Augen über die Jahre zurückzuverfolgen bis in jene Zeit. Dann schüttelte er den Kopf.
Er wusste nicht, ob die Schwangerschaft etwas an seiner Abreise, an seinem Bleiben in Deutschland geändert hätte. Für ihn wäre alles schwerer geworden, das war gewiss. Im Nachhinein, nach seiner gescheiterten und kinderlosen Ehe, nach allem, was sich in Deutschland ereignet hatte, war es einfach, sich zu wünschen, etwas hätte damals den Ausschlag gegeben, hier zu bleiben oder hierher zurückzukehren, ein Grund, etwas, was genauso wenig wegzuschieben gewesen wäre wie seine Verlobung, seine Zusage, die Stelle im Verlag anzutreten, das Versprechen an die Eltern. Doch wie hätte er damals entschieden? Er wusste es nicht.
Und während sie aufeinander zugingen, so vorsichtig, wie es nur tief Enttäuschte zu tun vermögen, grübelte er, lag nachts stundenlang wach, und auch tagsüber, wenn er über seiner Arbeit saß, schweiften seine Gedanken ab, waren schon lange nicht mehr bei den Befehlen und Rundschreiben,
Weitere Kostenlose Bücher