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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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nachzudenken sich nicht lohnte.
    Sie hatte sich vom Bruder überreden lassen, die alte Verbindung zugunsten der Widerstandsbewegung wiederzubeleben, zu reaktivieren, wie er sich in der Wortwahl der Strategen ausgedrückt hatte, eine Rolle, die er immer mehr zu lieben schien und die ihm auf den Leib geschneidert war. Wenn sie in Maximilians Abwesenheit dessen Papiere durchwühlte, abschrieb, ein unliebsames Dokument gar verschwinden ließ, überlegte sie häufig, was sie dazu antrieb. Sicherlich hasste sie die deutschen Besatzer, so wie sie von den meisten an der Küste gehasst wurden. Sicherlich glaubte sie an die Notwendigkeit, Widerstand zu leisten, zu kämpfen, notfalls unter Einsatz des eigenen Lebens, eine Tugend, die den Männern vorbehalten schien und die sie auch für sich beanspruchte. Und doch meinte sie, manchmal etwas anderes zu spüren, Genugtuung darüber, Maximilians blindes Vertrauen zu missbrauchen, eine dunkle Freude, die Arglosigkeit lächerlich zu machen, die ihn wie einen Heiligenschein umgab, diese Unfähigkeit, sich auch nur vorzustellen, sie könne ihn hintergehen. Rache war vielleicht das richtige Wort, eine kleine Rache, die sie sich niemals aus persönlichen Gründen zugestanden hätte, im Dienste des Vaterlands und der gemeinsamen Sache aber durchaus zu genießen im Stande war.
    Hinzu kam, dass sie gern in seiner Nähe war. Auch das fiel ihr nicht schwer, sich einzugestehen. Außerdem konnte es irgendwann notwendig werden, den persönlichen Einfluss, den sie auf ihn zu haben glaubte, zu nutzen. Eine solche Gelegenheit ergab sich bald.
    Fünf junge Männer, alle nicht viel älter als Vieri, waren von maresciallo Cozzis Männern aufgegriffen und der Fahnenflucht angeklagt worden, und da es in anderen Bezirken deswegen schon zu Hinrichtungen gekommen war – man schien jetzt hart durchgreifen zu wollen –, sah der Widerstand Anlass zu den schlimmsten Befürchtungen.
    Laura war an diesem Frühlingsmorgen in die Casa Letizia gestürzt und hatte Maximilian angefleht, er möge etwas unternehmen, sofort, hatte sie hinzugefügt, denn es gehe um Leben und Tod. Er hatte noch in der Küche vor einer Tasse Kaffeeersatz gesessen, die dünne Zeitung in der Hand, kaum mehr als ein beidseitig bedrucktes Blatt gelblichen Papiers.
    Später, schon im Auto auf dem Weg zum Militärgericht, dachte er an diese Szene zurück. Die Angst, die ihn angesteckt hatte, ihre Atemlosigkeit, die Betroffenheit, die Laura verwandelt hatte, die tiefen Gefühle, die unvermittelt aus ihr herausbrechen konnten, die gleichen Gefühle, die er schon früher bestaunt hatte, wie er ein Naturschauspiel bestaunt hätte.
    Auch er war aufgewühlt, und während er an knospenden Kirschbäumen entlangfuhr, ballte er nervös sie Fäuste. Schon einmal im Herbst war er in einer ähnlichen Lage gewesen, doch damals hatte er Glück gehabt.
    Ein Wagen der Feldjäger war in der Nähe von Annunziata beschossen worden. Der Fahrer war sofort tot, der Beifahrer starb am nächsten Tag. Von den Tätern fehlte jede Spur. Knippschild hatte unverzüglich eine Abteilung ins Dorf geschickt und neben dem Bürgermeister weitere neunzehn Dorfbewohner festgenommen. Für jeden getöteten Deutschen sollten zehn Einheimische hingerichtet werden, das besagten die Anweisungen, die schon geraume Zeit ihre Gültigkeit hatten. Meistens wurden Insassen von Gefängnissen oder Internierungslagern ausgewählt, manchmal aber auch Männer willkürlich aus ihren Häusern geholt. Oft hatten die italienischen Behörden die Opfer der Vergeltungsmaßnahmen selbst zu benennen. An diesem Herbsttag in Annunziata wurde auch Maximilian von Kampen hinzugezogen. Warum, wusste er nicht, denn als er dort eintraf, schien schon alles entschieden. Einem kurzen Prozess sollte eine ebenso schnelle Hinrichtung folgen. Er erinnerte sich noch gut an den Bürgermeister, einen schwitzenden kleinen Mann mit rotem Kopf und flehenden Augen, der einem dicken Cherub aus einem altertümlichen Fresko nachgebildet schien und dem tobenden Generalmajor umständlich zu erklären versuchte, die Bewohner des Dorfes, zumal jene, die er ausgewählt habe, verstünden sich mehr auf das Heben des Glases als auf das Laden von Pistolen und Gewehren und der Korkenzieher und das Schinkenmesser seien die einzigen Waffen, mit denen sie umzugehen wüssten. Nach der Verhandlung weinten einige von ihnen, andere beteten zu San Geminiano, dem Schutzheiligen der Verrückten und geistig Verwirrten, er möge seine Hand von jenem

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