Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
Arbeitskollegin oder der Nachbarin, und für eine kurze Zeit vergaßen sie die Kälte, vergaßen sie den Wind, der wie ein hungriges Tier durch den Kamin brüllte.
Dann verabschiedete sich Leone. Die Carabinieri würden sich vermutlich spätestens am nächsten Nachmittag auf den Rückweg machen. Es war seltsam genug, dass sie über Nacht im Tal blieben. Für gewöhnlich legten sie Wert darauf, pünktlich Feierabend zu machen, um abends mit ihren Mädchen auszugehen.
Leone war schon auf dem Weg zum Ausgang, als er sich noch einmal herumdrehte. „Und denkt immer dran: nicht tanzen, niemals!“ Wieder zeigte er sein dümmlich wirkendes Grinsen, zwinkerte ihnen zu und war verschwunden.
Tenente Roberto sah ihm nach. „Ein merkwürdiger Junge.“
Stefano, der nach einer Stelle suchte, um Feuer zu machen, sah auf. „Wer, Napoleone?“
„Napoleone?“
„Ja, Leone ist nur eine Abkürzung.“ Er ließ seine Stablampe kurz aufleuchten. Die Batterien waren fast leer, und es war ungewiss, ob es jemals Ersatz gäbe. „Napoleon ist der einzige Herrscher, für den die Menschen hier etwas übrig haben. Er hat sie vom Joch der Grafen Malaspina befreit: Liberté, Egalité, Fraternité ! Das hören sie immer noch gern. Es laufen eine Menge Jungs hier herum, die nach dem kleinen Korsen benannt sind.“
Mick, der Pole, und der dicke Bepi hatten einige Zweige und Äste zusammengetragen, die sie in einer Vertiefung in der Nähe des Abzugs aufschichteten. Stefano vergewisserte sich, dass der Feuerschein nicht durch die Lücke im Felsen zu Tal drang.
„Und was sollte die Bemerkung mit dem Tanz?“
„Es ist eine alte Legende.“
„Willst du sie mir nicht erzählen?“
Stefano seufzte. Er nahm den Oberleutnant zur Seite. „Die Geschichte mit den Feen ist nur die halbe Wahrheit. Sie ist zu schön, um wahr zu sein. Selbst für eine erfundene Geschichte ist sie zu schön.“ Er zog ihn zum Ausgang, und sie traten in die mondbeschienene Nacht hinaus. Im Tal war es vollständig dunkel. Nicht ein Licht war zu sehen. „Man sagt, die Feen tanzten nicht alleine“, fuhr Stefano fort. „Vom Friedhof kommen die Toten herauf.“ Er zeigte hinunter in die Nacht. „Zu Sankt Thomas, am dritten Juli oder am einundzwanzigsten Dezember, je nach Konfession, steigen sie aus ihren Gräbern und kommen zur Grotte. Aber nur bei Vollmond, naturalmente .“ Er lächelte. „Und die Legende sagt, dass die Feen jeden unvorsichtigen Wanderer zwingen, mit ihnen zu tanzen. Aber man muss sie nicht eigentlich zwingen, denn die Frauen sind überirdisch schön, und so feiern sie ein rauschenden Fest gemeinsam mit den kalten, blutleeren Körpern der Toten, den schweigsamen. Und das wäre nicht weiter tragisch, wenn nicht jeder, der mit den Toten tanzt, alsbald selbst sterben müsste.“
Später saß Stefano mit tenente Roberto am Feuer. Sie hatten gegessen, die Weinflaschen geleert, und es lag mehr am Alkohol als am Feuer, dass sich eine wohlige Wärme in ihm ausbreitete. Die Höhle um ihn herum erstrahlte im schwachen Licht der Flammen. Er meinte im Innern eines Diamanten zu sitzen, eines aus sich selbst heraus leuchtenden Steins. Er dachte an die alte Bauernlegende. Er betrachtete die Männer, die herumsaßen oder -lagen, sich in ihren Jacken und Mänteln, in den wenigen zerrissenen Decken gehüllt hatten. Niemandem war nach tanzen zumute.
5 . Kapitel
Der Januar brachte einige Veränderungen mit sich.
In gleichem Maße, wie die Temperaturen sanken, wurde auch der Ton der Verlautbarungen, die durch Hauptmann von Kampens Hände gingen, schärfer, die vom Oberkommando angeordneten oder direkt aus Berlin kommenden Maßnahmen unerbittlicher. Nicht, dass vorher an der Küste, in den Bergen oder im übrigen besetzten Italien ein freundliches Miteinander von Besatzern und Bevölkerung geherrscht hätte, nicht einmal ein stillschweigendes gegenseitiges Gewährenlassen, doch hatte Maximilian den Eindruck gewonnen – ein Eindruck, der mehr von der Hoffnung gespeist wurde denn aus feststehenden Tatsachen – er könnte sich mit seiner neuen Aufgabe irgendwie arrangieren, es sei möglich, sowohl seiner Uniform gerecht zu werden, als auch seiner Liebe zu dem Land, zu den Menschen. Die ersten Wochen des neuen Jahres brachten diese Überzeugung ins Wanken.
Die Milizen und Behörden machten zwar Jagd auf Deserteure, auf all jene, die sich unerlaubt von der Truppe entfernt hatten - nach der weitgehenden Auflösung der italienischen Armee also auf jeden gesunden
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