Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
Irren zurückziehen, der die Deutschen auf dem Gewissen habe. Vielleicht wurden ihre Gebete erhört, vielleicht ereignete sich eines jener Wunder, die es im Krieg nur selten gibt, denn sie standen schon mit verbundenen Augen vor dem Erschießungskommando, als ein Kradfahrer auf den Dorfplatz fuhr und meldete, man habe die Täter gefasst. Zwei englische Agenten, die an Ort und Stelle erschossen worden seien. Die freigelassenen Geiseln begaben sich unverzüglich zur Kapelle, um ihrem Schöpfer und den verschiedenen Schutzheiligen zu danken. Das Dorf aber musste eine hohe Geldstrafe bezahlen, weil sich die Tat auf seiner Gemarkung zugetragen hatte.
Vieri grüßte militärisch, als sie vor der ehemaligen Schule hielten, in der das Militärgericht untergebracht war. Er stand Posten, und nichts an seinem Verhalten zeigte, dass er Maximilian kannte. Seine Augen waren hart, sein Gesicht starr, fast verkniffen, aber so hätte er vermutlich jeden deutschen Offizier begrüßt. Mehr als der förmliche Empfang, war es die Uniform, die Maximilian betroffen machte. Seinen halbwüchsigen Sohn so unerwartet und so verkleidet vor sich zu sehen, ließ ihn seinen Schritt verlangsamen. Etwas zog sich in seinen Eingeweiden zusammen. Er dachte an die vielen jungen Männer, halbe Kinder, die vor seinen Augen gefallen waren. Und plötzlich glaubte er, in dem Sohn zum ersten Mal sich selbst zu sehen, wie er kaum achtzehn Jahre alt mit Hurrageschrei ins Feld gezogen war. Seltsam, dachte er, wie anders etwas erscheint, wenn man es von außen betrachtet, von außen oder aus der Entfernung.
Der Fall der aufgegriffenen Fahnenflüchtlingen war colonello De Tommaso übertragen worden, einem verkalkten Berufssoldaten adliger Abstammung, einem überzeugten Faschisten zudem, den er bei anderer Gelegenheit bereits kennen gelernt hatte. Dieser würde nicht zögern, einen Menschen schon aus nichtigerem Anlass als einer Entfernung von der Truppe an die Wand zu stellen. Die übrigen Offiziere schienen nervös, kurze, heftige Wortwechsel waren zu hören, verstummten aber sofort, wenn Maximilian oder De Tommaso sich näherten, eine Aufregung, die sich auch auf die einfachen Soldaten, die meist als Wachen oder Schreibkräfte ihren Dienst versahen, übertragen hatte. Das ganze Haus schien vor Anspannung zu zittern.
Maximilian verbrachte zwei ganze Tage beim Militärgericht. Er vernahm die Gefangenen im Beisein des colonello , er vernahm sie allein, er vernahm sie zusammen mit dem Militärankläger Giorgio Bocca, einem besonnenen Mann, der ihm sofort sympathisch war. Dieser schien wie er selbst ein Interesse daran zu haben, die befürchtete Höchststrafe abzumildern, zu einer Versetzung in ein Strafbataillon umzuwandeln, zu zwanzig Jahren Zuchthaus, was einem Freispruch gleichgekommen wäre, gab sich doch angesichts der Lage an den verschiedenen Fronten niemand der Illusion hin, der Krieg sei noch zu gewinnen oder die sichere Niederlage nennenswert hinauszuzögern.
So legten sie den Gefangenen Worte in den Mund, deuteten unauffällig mögliche strafmildernde Umstände an, entwarfen Ausreden, schufen Unschärfen und Grauzonen. Gab es nicht eine Mutter die schwer krank war, der man verständlicherweise beistehen wollte, den ansonsten gerne übernommenen Pflichten dem Vaterland gegenüber zum Trotz? Hatte nicht jener schwere Sturm das elterliche Haus so stark beschädigt, dass ein kräftiger erwachsener Mann tatkräftig mit anpacken musste? Natürlich hätte er sich nach wenigen Tagen wieder in der Kaserne eingefunden. War er nicht just an jenem Tage, als er aufgegriffen wurde, auf dem Weg zum Bahnhof gewesen, um zu seiner Einheit zurückzukehren? So oder so ähnlich redeten sie stundenlang auf ihre Gefangenen ein. Zwei von den fünfen blieben bei ihrer Aussage, sie seien Antifaschisten und seien desertiert, weil sie nicht der neuen Republik dienen wollten. Trotz eines Hinweises, ihre standrechtliche Erschießung sei in diesem Fall kaum zu verhindern, bestanden sie darauf, ein entsprechendes Protokoll zu unterschreiben.
Wenige Tage später wurden sie nach Pisa überstellt. Die drei Einsichtigen wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, die beiden Hitzköpfe zur Höchststrafe.
Bei der Hinrichtung hatte auch Maximilian anwesend zu sein. Eine unmissverständliche Anweisung Knippschilds, der damit das besondere Interesse der deutschen Kommandantur an einer harten Linie unterstreichen wollte. Es wurde eine herzzerreißende Inszenierung, bei der es keine
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