Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
Pietro.“
„Das weiß er. Aber die Grauen denken schon weiter, sie denken an die Zeit nach dem Krieg...“
„Ja, wie die Alliierten. Die einzigen, die nicht weiter denken, sind wir. Wir und die Deutschen.“
Sie schwiegen lange. Jeder schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Schließlich erhob sich auch Lewis. „Ich muss zurück.“ Fest drückten sie sich die Hand, und Stefano fragte sich, ob er den englischen Hauptmann wiedersehen würde.
Betrat man die Mühle von der Straße her, kam man direkt in das kleine Wohnzimmer, das sich genau unterhalb von Stefanos behelfsmäßigem Lazarett befand. Dort stand ein altes Grammophon, für das es nur wenige Schallplatten gab. Eine davon war das Klavierkonzert in b-Moll von Tschaikowsky. Drohte Gefahr, so war mit den Müllersleuten verabredet worden, sollte diese Platte aufgelegt werden. Dann sollte Stefano durch die Luke in der Decke seines Zimmers auf den Speicher fliehen. Gleichzeitig käme Lina oder Rita herauf, um die Spuren seines Aufenthalts möglichst schnell und vollständig zu tilgen. Erklang das Konzert bis zu seinem vom Komponisten vorgesehenen Ende, dann entwickelte sich alles zum Besseren, brach die Musik jedoch plötzlich ab, dann hatten sich die ungebetenen Gäste entschlossen, das ganze Haus zu durchsuchen.
Als an einem Vormittag die achtjährige Ginella laut schreiend durch die einzige Straße des Dorfes rannte, dass die wenigen verbliebenen Hühner gackernd auseinander stoben, ließ Luigi, der Müller, das Töpfchen mit dem Fett sinken, mit dem er gerade die Angel der Eingangstür schmierte, und wunderte sich. Er hörte das Mädchen etwas von Tod und Teufel rufen, und erst als die kleine Prozession um die Ecke bog, verstand er ihre Aufregung. Wenige Augenblicke später erklangen aus der Mühle die ersten Takte von Tschaikowskys Klavierkonzert in b-Moll.
Der „Mann mit der Maske“ war in Begleitung von zwei Dutzend Soldaten. Voraus ging die SS. Sechs Mann mit Stahlhelmen und Maschinenpistolen im Anschlag. Es folgten die Gebirgsjäger in ihren grauen Uniformen. Am Ende des Zuges und weniger geordnet kamen die Carabinieri, denen einige Schwarzhemden folgten. Der Mann in ihrer Mitte war schwarz gekleidet, trug eine weite staubige Hose und ausgebeulte Schuhe. Vor das Gesicht gepresst, hielt er eine gleichfalls schwarze Maske, die an ein Karnevalslarve erinnerte. Er war weder groß noch klein weder dick noch besonders dünn und hatte kurzes dunkles Haar. Lange starrte Luigi die seltsame Erscheinung an. Die meisten Männer die er kannte, hätten sich hinter diesem Aufzug verstecken können. Nur er selbst hatte vielleicht ein paar Kilo zuviel auf den Rippen.
Ohne ein Wort kamen sie langsam die Straße herauf. Erst jetzt fiel Luigi auf, wie still es im Dorf geworden war. Wer konnte, hatte sich versteckt. Nur einige Kinder standen mit offenem Mund am Straßenrand.
Der Mann mit der Maske hob die Hand. Er schien genau auf den Müller zu deuten, der noch immer unbeweglich in der halb offenen Tür stand. Zielstrebig kamen sie auf die Mühle zu. Ein paar Meter vor dem Eingang blieb der Maskierte stehen. Als sei dies das verabredete Zeichen, kam plötzlich Bewegung in die Gruppe. Die Feldjäger liefen über die Holzbrücke auf die Rückseite des Hauses, während zwei SS -Männer ins Haus stürmten. Die restlichen Deutschen waren ausgeschwärmt und sicherten in verschiedene Richtungen.
Der dicke Natta kam auf Luigi zu. Er kaute Tabak und spuckte vor seinen Füßen aus. „Wo ist er?“ sagte er nur. Als Luigi nicht antwortete, schlug er ihn mit dem Gewehrkolben nieder.
Später saß Stefano auf dem Mäuerchen der halbverfallenen Scheune und blickte hinunter ins Tal. Vieri war bei ihm und auch Lina, die ihm den Weg über das Dach der Mühle gezeigt hatte. Unten brannten die Häuser. Zuerst waren es einzelne gewesen. Dünne Säulen bläulichen Rauchs, die senkrecht im windstillen Nachmittag standen. Als seien es Zeichen, fremdartige Botschaften, die über immer weitere Entfernungen ausgetauscht wurden, waren dann die Antworten gekommen. Zuerst aus den umliegenden Dörfern, dann aus denen des ganzen östlichen Tals, und als die ersten Feuer heruntergebrannt waren, sich ihr Rauch unter der eigenen Last zu Boden gesenkt hatte, füllte sich das Tal, entschwand es ihren Blicken, bis sie auf ein Meer aus Rauch hinunterzusehen meinten, das sich in der sinkenden Sonne violett zu färben begann.
9 . Kapitel
Am Tag als Piero verhaftet wurde, fuhren Maximilian
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