Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
Falschen oder Richtigen erwischte, der eine war so gut wie der andere, und verdächtig war jeder. Immerhin hatte er verhindern können, dass man Piero allzu hart anfasste. Letztlich würde man ihn freilassen, davon war er überzeugt. Täglich gab es unzählige Verhaftungen, man konnte nicht die ganze Bevölkerung einsperren.
Er dachte an Kesselrings vertrauliches Rundschreiben, an die unvermeidlichen Härten, die der Zivilbevölkerung zugemutet werden müssten, und an die unbedingte Rückendeckung, die jeder, der einen solchen Übergriff zu verantworten hätte, durch das Oberkommando erfahre.
Er dachte an Engel, der, obwohl gleichen Rangs, sich vor wenigen Tagen vor ihm aufgebaut hatte, um „Ein deutscher Soldat ist kein Hühnerdieb! “ zu brüllen. Eine Anspielung auf Marias Auftritt Anfang des Jahres, als sie zur Ortskommandantur gekommen war, um den Diebstahl eines Huhnes anzuzeigen, und Guderjahn die ganze Garnison im Garten des Albergo Oceano hatte antreten lassen. Lauras Mutter war von einem zum anderen gegangen, hatte in die unbewegten Gesichter geschaut und plötzlich vor ihrer eigenen Courage Angst bekommen. Nein, er sei nicht dabei, hatte sie schließlich gesagt, und mehr zu sich selbst: „Die sehen doch sowieso alle gleich aus.“
Die Zeiten hatten sich geändert, das hatte ihm der SS-Offizier unmissverständlich klar gemacht. Solchen weltfremden Phantasten wie ihm sei es mit zu verdanken, dass deutsche Soldaten täglich Opfer der Banditen würden. Ab sofort liege die Verantwortung für alle Aktionen gegen die anarchokommunistische Verschwörung allein bei der SS. „Es ist vorbei mit der weichen Linie“, hatte er schließlich gebrüllt, und wer jemals wieder einen deutschen Soldaten des Hühnerdiebstahls beschuldige, den stelle er höchstpersönlich an die Wand, und es sei ihm gleich, ob das dann ein Itaker sei oder ein Deutscher. Ob er ihn verstanden habe, wollte er dann wissen, und Maximilian hatte zornbebend salutiert.
Hauptsturmführer Engel war erst wenige Wochen im Land. Seine Methoden der Partisanenbekämpfung hatte er auf dem Balkan entwickelt und vervollkommnet, und dass Maximilian den sonst eher kühlen und beherrschten Norddeutschen noch nie so wütend gesehen hatte, bestärkte ihn in der Annahme, auch er stehe unter Druck und müsse endlich Erfolge vorweisen.
Das Meer war ruhig, eine dunkle ölige Fläche, die mit einem schmatzenden Geräusch an Land schwappte, sich dann zusammenzuziehen schien, um erneut bis zu ihren Füßen hinaufzulaufen.
Vor kurzem erst waren die Alliierten in der Normandie gelandet. Den täglichen Verlautbarungen zum trotz, sie seien ins Meer zurückgeworfen worden wie einst in Dünkirchen, wusste Maximilian, dass das der Anfang vom Ende war. Ob nach der Invasion in Frankreich eine alliierte Landung in Norditalien näher oder im Gegenteil weiter in die Ferne gerückt war, darüber gingen die Meinungen von Besatzern und Einheimischen auseinander. Aber heute, an diesem Tag, wünschte sich Maximilian plötzlich den Rauch der Schlachtschiffe, die Fesselballons am Horizont aufsteigen zu sehen. Auch wenn es für ihn persönlich zweitrangig war, wo er in Gefangenschaft ginge oder fiele, er wünschte es Laura und den Menschen an der Küste, er wünschte es sich fast so sehr wie Laura selbst, wenn sie vom panzerreitenden Scott träumte.
Als deshalb nach wenigen Tagen die vereinbarte Losung über BBC London kam, schien für die Widerstandsbewegung wie für die Bevölkerung nur ein langgehegter Wunsch in Erfüllung zu gehen. Beerdigung erster Klasse und Vorwärts Savoyen hieß es an diesem Nachmittag, wobei der erste Code einen weiteren Abwurf von Waffen und Munition am Monte Picchiara ankündigte, der zweite für eine unmittelbar bevorstehende alliierte Landung zwischen Viareggio und Carrara stand.
Stefano erreichte die Nachricht auf dem Weg zum Kommando der Brigata Lunense , die im verlassenen Pfarrhaus von Vigilata untergebracht war. Das Dorf lag im Rücken der Apuanischen Alpen, jenseits der Marmorsteinbrüche, und war nur über einen schmalen Weg zugänglich, das sich tief in den felsigen Kamm schnitt. Ein Meldegänger kam ihm rennend entgegen, schrie, jede Vorsicht außer Acht lassend: „Die Amerikaner sind da!“, und Stefano sah zuerst Vieri an, dann die beiden anderen Männer, die sie begleiteten. Sie fielen einander in die Arme, ungläubig noch, aber grenzenlos erleichtert. Doch als sie ins Dorf kamen und erfuhren, dass kein einziger alliierter Soldat, nicht
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