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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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und Laura ein letztes Mal zum  Meer hinunter.
    Es war heiß geworden. Eine trockene Hitze, die den Himmel Tag für Tag mehr auszubleichen schien, bis nur noch ein staubiges Grau über den ausgedörrten Feldern lag. Es war, als sauge der stetige Südwind, der über die Küste strich, mit der Feuchtigkeit auch alles Leben in sich auf. Zurück blieb gelblicher Wüstensand, der zwischen den Zähnen knirschte und in den Augen brannte.
    Laura war kurz in der ehemaligen Pension gewesen, war mit Wäschebündel und anderem Hausrat beladen zurückgekommen, und Maximilian hätte nicht sagen können, was in ihr vorging, ob sie an etwas anderes dachte, als an die Liste, die sie am Vormittag geschrieben hatte und nun im Auto noch einmal Posten für Posten durchging, ob sie sich um den Vater sorgte, mit dem sie nur ein paar Worte hatte wechseln können, oder ob die zerfallende Mauer um den mit Gerümpel vollgestellten Hof, die abgestorbenen Weinranken darüber in ihr etwas Ähnliches ausgelöst hatten wie in ihm.
    Sosehr er sich jeden Tag über ihre Anwesenheit freute, ihr Beisammensein vielleicht mehr genoss als jemals zuvor, so deutlich führte ihm die stille und ungastlich gewordene Pension vor Augen, dass sie niemals wieder an jenem weit entfernten Punkt würden anknüpfen können, dass es gleichgültig war, ob sie sich wieder gefunden hatten oder nicht, dass sie vielleicht nur zufällig die gleichen Personen waren, so austauschbar wie immer schon, dass es nichts gab, was eine Brücke über diesen Abgrund an Zeit hätte schlagen können.
    Nicht einmal Vieri, dachte er plötzlich, nicht einmal ihr Sohn.
    Schweigend saßen sie im Wagen. Laura hatte ihre Liste ordentlich gefaltet und eingesteckt. Die Straße war menschenleer. Nur das Meer füllte die Stille.
    Und vielleicht war es dieses Flüstern, das sie anzog, das Rauschen und Fauchen, das der Wind in die Ohren spülte, mit jedem Auffrischen zu verstärken schien, bis man einen zahnlosen Alten nuscheln zu hören meinte – eine unverständliche Sprache, die dennoch seltsam vertraut klang. Als sei die verlassene Pension nicht Enttäuschung genug, fuhren sie zum Strand.
    Die Posten waren verstärkt worden. Wie Sandburgen lagen alle paar hundert Meter befestigte Stellungen in den Dünen. Auch hier war niemand zu sehen. Nur wenn der Wind eines der Tarnnetze hob, blickte man auf die schwarzen Arme der Maschinengewehre oder in den Doppellauf einer 30-Millimeter-Kanone.
    Dann der Strand, weiß und endlos, eine Schneise, die von Norden kommend sich in der salzigen Gischt verlor, ein leeres Stück Niemandsland, auf dem der letzte Sturm das Treibgut zu einem schmalen bräunlichen Band zusammengeschoben hatte. Grau wie der Himmel auch das Meer, schwarz fast duckte es sich unter dem niedrigen Horizont. Die Landungsbrücke, von allem brauchbaren Material entkleidet, ragte wie das Gerippe eines Pferdes aus dem Wasser.
    Auf einem mit einem Seil gesicherten Weg gingen sie vorsichtig durch die Minenfelder. Dort, wo der Sand schon feucht wurde, setzten sie sich. Sie legte ihren Kopf an seine Schulter. Von weitem glichen sie einem einsamen Liebespaar.
    „Kannst du nichts für ihn tun?“ Laura weinte lautlos in den grauen Filz seiner Uniformjacke.
    Piero war auf einem seiner langen Spaziergänge in den Bergen einem Vorauskommando in die Arme gelaufen. Man verdächtigte ihn, ein Kurier der Partisanen zu sein, hatte aber nichts bei ihm gefunden.
    „Er ist ein harmloser alter Mann.“
    Wie oft hatte Piero sie abgeholt, hatte, die Mütze verlegen in Händen haltend, im Flur der Casa Letizia gestanden? In diesem Augenblick wusste Maximilian, dass er dieses Bild vor Augen hätte, wann immer er an ihren Vater dächte. „Das weißt du, und das weiß ich“ - sein Blick ging zur Horizontlinie, dorthin wo das Grau des Himmels sich mit dem dunkleren Grau des Meeres vermischte - „aber er ist auch Stefanos Vater.“ Der Horizont war leer. Kein Schiff war zu sehen, kein Wölkchen Rauch.
    „Und ich bin seine Schwester!“
    „Du bist eine Frau.“
    „Ihr seid so dumm!“
    Er legte seine Hand auf ihren Arm. „Sie werden ihn laufen lassen, in ein paar Tagen schon, einer Woche vielleicht...“
    „Er hat nichts getan, das musst du mir glauben. Er ist nur spazieren gegangen.“
    Maximilian glaubte ihr, wie er ihr immer geglaubt hatte, auch wenn er wusste, dass das wenig nutzte. Niemand ging in diesen Tagen einfach nur spazieren. Außerdem schien es den zuständigen Stellen gleichgültig zu sein, ob man den

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