Die Nachtmahr Wunschträume
erlebte alles in Zeitlupe, während alle anderen ganz normal wirkten.
Da war das Schwimmtraining beinahe eine erfreuliche Abwechslung. Aber eben nur beinahe.
Missmutig stapfte ich neben Daria, die fröhlich vor sich hin schnatterte, über den Schulhof. Ihr Mund schien sich sogar noch schneller zu bewegen als sonst und kein bisschen von meiner Zeitlosen-Zone betroffen zu sein. Ich konnte dem Klatsch und Tratsch der zurzeit aktuell war kaum folgen. Immerhin schien ich an den richtigen Stellen zu nicken oder »Mmmh« zu machen, so dass sie keinen Verdacht schöpfte.
Gemeinsam bogen wir um die Ecke des Nebengebäudes, vor dem einige Mitschüler noch die letzten Sonnenstrahlen genossen, bevor es zum Training ging. Es gab nur einen Schatten. Hätte ich nicht in einer Slow-Motion-Welt gelebt, wäre er mir wahrscheinlich gar nicht aufgefallen, so schnell war er plötzlich verschwunden. Beinahe so, als hätte ihn der Busch neben dem Eingang eingesogen. Genausowenig hätte ich das schwarze, wabbernde Etwas gesehen, welches sich von der anderen Seite über den Busch ergoss und jedes einzelne Blatt zu umhüllen schien. Für Sekunden schien es furchtbar formlos zu sein, dann bildete sich ein Gesicht aus dem Schwarz, sah in meine Richtung, der Mund formte eine Silbe, vielleicht Liz, dann war der Spuk vorbei.
»Hei, alles in Ordnung mit dir?« Daria trat um mich herum, bis sie vor mir stand und mir den Blick versperrte. Am liebsten hätte ich sie gepackt und aus dem Weg gezerrt. Um wieder dorthin sehen zu können, wo eben noch ein Schatten und ein schwärzerer Schatten gewesen waren, aber auch, um sie in Sicherheit zu bringen.
»Ich weiß nicht.«
»Elijah?!« Daria winkte meinen Lieblingsfeind – ach nein, das war aktuell ja Jonah – zu uns. Im Gegensatz zu mir machte es ihr nichts aus, dass Elijah ihr die große Liebe vorgespielt hatte. Daran war sie gewöhnt – auch wenn sie für gewöhnlich auf der anderen Seite spielte.
Obwohl ich so ziemlich alles lieber wollte, als Elijah in irgendetwas einzuweihen, konnte ich nicht gegen meine beste Freundin an. Denn obwohl der Inkubus Daria damals durch einen Kuss manipuliert und sie in eine Art Wachkoma gezwungen hatte, schien sie ihm vergeben zu haben. Mehr noch. Sie schien ihm zu trauen. Genauso, wie sie Jonah traute, der langsam und sehr selbstbewusst zu uns herüberschlenderte. Ganz ohne gerufen worden zu sein.
Am liebsten wäre ich mit allem herausgeplatzt, bevor er bei uns ankam. Allein, um ihn dafür zu strafen, dass er bei seinem Näherkommen absichtlich die Blicke aller Mädchen auf sich zog.
Aber ich hatte Jessica versprochen, mich ganz normal zu verhalten und nichts von wegen der Kategorie 2 durchblicken zu lassen. So, als wäre ich immer noch das blöde Schaf, das ich ja tatsächlich war. Also blieb ich unter Darias Blick brav, wartete und schilderte erst dann in kurzen Worte, was ich gesehen hatte, als auch Jonah bei uns angekommen war.
Elijah seufzte leise. Es klang wie ein Tadel.
»Ich hatte es dir doch gesagt: Wir bieten dir Schutz vor ihnen«, übersetzte Jonah und strich seine nachtschwarzen Haare nach hinten.
»Ich muss vor den anderen Kategorien beschützt werden?« Für mich hatte es eher so ausgesehen, als wenn der hellere Schatten Schutz nötig hätte.
Doch sowohl Elijah als auch Jonah schwiegen, was generell kein gutes Zeichen war. Die Antwort lautete folglich ganz klar »ja«.
Idioten! Manipulative Idioten!
»Und wir haben dir auch gesagt, unter welchen Bedienungen dieser Schutz greift«, meinte Jonah so lässig, dass niemand – nicht einmal die misstrauische Daria – auf die Idee kommen konnte, er würde gerade versuchen, mich zu erpressen.
»Du meinst eine Beziehung?!« Ich gab mir Mühe, nicht zu grinsen und es schien zu gelingen.
»Er meint eine Beziehung mit uns
beiden
!«, erklärte Elijah beleidigt und mit einer Spur Aggression in seiner Stimme.
Daria sah von einem zum anderen. Dann sah sie mich an, schüttelte den Kopf und meinte im Weggehen: »Mensch, deine Probleme möchte ich auch einmal haben. Du bist im Himmel gelandet!«
Im Himmel? Am liebsten hätte ich sie stranguliert – und Elijah und Jonah gleich dazu.
Normalerweise war das Joggen-gehen Freitag nachmittags immer mit großer Überwindung verbunden. Heute war ich froh darüber, ein Ventil für meine angestaute Wut zu bekommen. Außerdem half mir das Laufen dabei nachzudenken. Zumindest hatte es bislang immer geklappt. Und dieses Mal hatte ich wirklich eine Menge,
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