Die Nachtmahr Wunschträume
des gleichmäßigen Laufens verloren.
Erst ein schwarzer Schatten schreckte mich aus dem seligen Nichts auf. Er vibrierte am äußersten Ende meines Gesichtsfeldes und wenn ich frei von Paranoia gewesen wäre, hätte ich es entweder gar nicht bemerkt oder als beginnende Erschöpfungserscheinung gedeutet. War ich aber nicht und Training und Selbstbeherrschung ließen mich weiterlaufen, viel aufmerksamer und immer mit allem rechnend. Aber der Schatten hielt sich dort wo er war. Glitt ungeachtet von Sonne und Gegenständen in einem gleichmäßigen Abstand schräg hinter mir her. Erst nach einer ganzen Weile erkannte ich das Flirren. Es hatte denselben Rhythmus, den der Anzug des Tierpflegers gehabt hatte. Nachtmahr der Kategorie drei also.
Ich zwang mich dazu, ruhiger zu atmen, denn jetzt drohte ich doch, nervös zu werden und Seitenstiche zu bekommen. Ohne Handy, fernab jedweder Hilfe und dank der Uhrzeit komplett allein auf der Straße, war keine gute Ausgangsposition, um sich mit jemandem anzulegen, der aller Wahrscheinlichkeit nach ein bis zwei Kategorien stärker war als ich.
Ich hörte das Geräusch, bevor das Auto um die Ecke und mir entgegen kam. Für einen Moment stieg widersinnige Hoffnung in mir auf. Konnte ich Klaus gegen den Nachtmahr ins Feld schicken? Wie gut war er? Dann erstickte mein innerer Jubel. Selbst wenn mein Stiefonkel gut genug war … würde ich ihn riskieren wollen? Die Antwort war so klar wie eindeutig: Nein. Um nichts in der Welt. Das mit den Nachtmahren war meine Sache. Ganz allein. Schlimm genug, dass ich ständig davon träumte, Klaus zu töten …
Dementsprechend lief ich weiter, versuchte Auto und den zurückbleibenden Schatten zu ignorieren und beschleunigte, bis ich im Sprint war. Das Tempo reichte für die letzten zweihundert Meter meiner Strecke, dann wurde ich langsamer und lief aus.
Inzwischen hatte auch das Auto gewendet, zu mir aufgeschlossen und neben mir gehalten. Das Fenster war bereits unten.
»Schon wieder die Angeberkarre?!«, japste ich. Und beugte mich vornüber, die Hände in den Kniekehlen. Eine Dehnübung, die in meinem Fall allerdings dazu diente, nicht zu hyperventilieren oder umzufallen.
»Du meinst die totschicke Angeberkarre, die absolut dazu geeignet ist, Frauen aufzureißen?«, fragte Klaus und ich riskierte einen Blick. Er sah immer noch aus wie immer. Haarig und zerrupft.
Trotzdem meinte ich: »Ich dachte, du wolltest keine Affären mehr?«
»Will ich auch nicht! Keine einzige …
Affäre
«, betonte er. Für die Wortwahl und die Pause hatte er mindestens einen Emmy verdient.
»Machst du das eigentlich extra, mich immer beim Joggen überfallen?«
»Ein bisschen. Aber dieses Mal habe ich gewartet, bis du fertig bist«, behauptete er mit einem breiten Grinsen.
»Nein, ich war nicht fertig, sondern bin einfach weggelaufen.
Jetzt
bin ich fertig.« In Anbetracht meines Atems klang meine Behauptung sogar extrem glaubwürdig.
Klaus lenkte meine Aufmerksamkeit weg vom Asphalt und auf sich, da er mir mit der Linken deutete einzusteigen. Etwas, was ich nur zu gerne tat. Bei der Vorstellung, nach Hause gehen zu müssen, wurde mir nämlich übel. Sehr.
»Was ist es diesmal?« Es konnte kein Training sein. Das war zweimal die Woche, Dienstags und Donnerstags. Und heute war eindeutig Sonntag. Mein freier Tag. Also mein eigentlich freier Tag.
»Ein Schwertkampf«, meinte Klaus. Dabei klang er, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt.
»Ein Schwertkampf?«, wiederholte ich deswegen ein wenig perplex.
»Kein Training, ein Wettbewerb.«
»Wettbewerb?«
»Gibt es hier ein Echo?« Wieder grinste er mich an und sein Grinsen war wirklich unverschämt. Ein schönes Grinsen. Beinahe so schön, wie der dazugehörige Mund mit den schön geschwungenen Lippen und den perfekten Zähnen. Hollywoodlike.
Ich starrte aus dem Fenster und suchte fieberhaft nach einer Ausrede. Mir fiel keine einzige glaubwürdige ein und mein Hals wurde immer trockener. Das fehlte mir zu meinem Glück gerade noch. Jede Wette, dass alle Teilnehmer Tagmahre waren. Tagmahre in meinem Alter und wahrscheinlich hochmotiviert, in den Kampf zu ziehen. Also genau, was ich brauchte: Jede Menge neuer Gegner, die mich kennenlernen konnten und dann für immer und ewig wusste, wie ich aussah. Prima! Dann mussten David und Klaus später keinen Steckbrief von mir verteilen. Und wie ich kämpfte, wussten die kriegerischen Jungs und Mädels dann auch gleich. Wie vorteilhaft auf der Jagd nach der
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