Die Nachtmahr Wunschträume
Schultern.
»Und das
Spiel der Könige
wirst du in deinem fortgeschrittenen Alter sicher nicht mehr lernen können – außerdem muss man ja auch die Uhrzeit bedenken«, provozierte er. Wieder lag ein katzenhaftes Lächeln auf seinen Lippen.
»Hei, ich lerne schnell!«, protestierte ich.
Fünfzehn Minuten später war ich mir nicht sicher, ob es am Alter oder an der Uhrzeit lag oder doch eher an Klaus’ Erklärungsfähigkeit, aber ich hatte nur Bahnhof verstanden.
»Also Bauern gehen geradeaus. Ein Feld oder beim jeweils ersten Zug aus der Startposition zwei. Schlagen tun sie diagonal. Wie der Läufer. Nur die Bauern schlagen das direkt angrenzende Feld, der Läufer unbegrenzt. Der König kann in alle Richtungen gehen, je ein Feld, der Turm senkrecht oder waagerecht, unbegrenzt, die Dame senkrecht, waagerecht oder diagonal, unbegrenzt«, fasste ich zusammen.
»Genau. Und meine können dasselbe.«
»Das Pferd?« Ich hielt die Figur in den Händen und hoffte, dass sie mir zuflüsterte, was sie konnte.
»Zwei geradeaus und einen zur Seite.«
Ich nickte und stellte das Pferd/den Springer wieder zurück auf seine Position.
»Alles verstanden?«
Ich nickte. Verstanden, ja. Aber merken?
»Okay, um was spielen wir?«, fragte Klaus unvermittelt.
»Wir spielen um etwas?« Ich starrte auf das Brett.
»Natürlich.«
»Ist das nicht ein klein wenig unfair … ich habe die Regeln vor fünf Minuten zum ersten Mal gehört …«
»Hast du nicht behauptet, du würdest schnell lernen?«
Gemeinheit!
Geistig ging ich alle Möglichkeiten durch, die man anbieten konnte, von einem Dollar bis hin zu Autowaschen oder Lieblingsessen kochen, doch Klaus kam mir zuvor. Leider grummelte er so leise, dass ich ihn nicht verstanden hatte.
»Bitte?«
Er sah mich an. »Um Haare schneiden.«
»Bitte?« Das sagte
er
mir? Da wusste ich nicht einmal mehr, wie die Betonung sein musste, eigentlich auf
Das sagte er mir?
»Sie sind zu lang«, behauptete er.
»Wie war das mit dem Glashaus und den Steinen … außerdem stimmt es gar nicht!« Konnten Frauenhaare überhaupt zu lang sein? Ich fuhr mir mit allen zehn Fingern durch die Haare.
Klaus zeigte mit seinen zwei Zeigefingern eine Länge von zirka fünfzehn Zentimetern an. »Ungefähr soviel? … Wann warst du letzte Mal beim Friseur?«
Er betrachtete mich, als wären die Haare nicht das Schönste an mir. Dabei hatte ich doch die letzten Tage gerade wegen der Haar unglaublich viele Komplimente bekommen – und verzückte Blicke.
»Das könnte ich dich auch fragen«, meinte ich deswegen nicht gerade freundlich. Schließlich ließ er seine Haare – alle Haare – seit dem Tod seiner ersten Frau Nadja ungehemmt wachsen.
»Könntest du, aber das wäre pietätslos.« Er gab sich nachsichtig, aber der sanfte Tadel in seiner Stimme war deutlich zu hören. Und an mich vollkommen verschwendet.
»Vor sieben, fast acht Jahren wäre es das gewesen. Und diese rein hypothetische Frage hätte nichts mit Pietät zu tun … mit deinen Haaren ärgerst du Tante Meg – nicht mehr und nicht weniger.«
Er starrte mich an, mit diesem starren Blick, der sogar bei Donovan und Forman wirkte und für den ein Inquisitor getötet hätte. Doch dieses Mal weigerte ich mich nachzugeben und erwiderte ihn, bis meine Augen brannten.
»Also: du gewinnst, ich schneide meine Haare, ich gewinne, du schneidest deine Haare?«, fasste Klaus schließlich zusammen – und war der erste, der fortblickte. Halleluja.
»Und den Bart«, ergänzte ich. Nicht nur aus Bosheit, sondern weil mir etwas eingefallen war. Etwas, was er auch hätte wissen können.
»Herrje.« Klaus seufzte leise, nickte aber.
»Großartig!«, behauptete ich, überließ mich zum ersten Mal bewusst meinen Erinnerungen und schloss die Augen.
»Was tust du da?« Klaus klang irritiert, aber nicht besorgt oder misstrauisch.
»Weißt du … das Spielbrett auf dem Tisch … in dem Traum, den ich dir vorgelesen hatte …«, erklärte ich und versuchte gar nicht erst, mich bewusst an Züge zu erinnern. Dafür waren die Erinnerungen zu tief, zu unbewusst. Aber ich hatte schon immer einen guten Draht zu meinem Unterbewusstsein – oder »Unbewusstsein«. Naja … genaugenommen war es umgekehrt. Die beiden hatten einen guten Draht zu mir.
»
Das
könnte interessant werden«, meinte Klaus als er begriff. Ich spürte, wie er sich hinsetzte und öffnete die Augen. Danach konzentrierte ich mich auf das Spielbrett. Schwarz und weiß – ohne Grautöne.
Eine Stunde
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