Die Nachtwächter
Ich
glaube, er ist irgendwo dort oben und bleibt dort.«
»Warum?«
»Wie sol er sich den Weg durch einen ganzen Haufen Zauberer
freikämpfen, Herr? Seine beste Chance besteht darin, über die Dächer
zu klettern und an irgendeinem ruhigen Ort auf den Boden
zurückzukehren. Dort oben gibt es viele Verstecke, und er könnte es bis
zur Pfirsichblütenstraße schaffen, ohne herunterzukommen.«
Forensische Abteilung, dachte Mumm. Ha! Und mit ein bisschen
Glück weiß der Bursche nichts von Knuddel.
»Gut überlegt«, sagte er.
»Danke, Herr. Hättest du etwas dagegen, näher an die Mauer
heranzutreten, Herr?«
»Warum?«
Etwas schlug auf das Pflaster auf. Von einem Augenblick zum
anderen stand Mumm flach an die Mauer gepresst.
»Er hat eine Armbrust, Herr«, sagte Grinsi. »Wir glauben, sie stammt
von Starkimarm. Aber er kann nicht besonders gut damit umgehen.«
»Ausgezeichnet, Korporal«, sagte Mumm schwach. »Gute Arbeit.« Er
sah zum Platz zurück. Wind zerrte an den Markisen der Marktbuden.
Die Verkäufer bedeckten ihre Waren und blickten gelegentlich zum
Himmel empor.
»Wir können ihn nicht einfach dort oben lassen«, fuhr er fort. »Wenn
er aufs Geratewohl schießt, wird er früher oder später jemanden
treffen.«
»Warum sollte er aufs Geratewohl schießen, Herr?«
»Carcer braucht keinen Grund«, sagte Mumm. »Er braucht nur einen
Vorwand.« Eine Bewegung weckte seine Aufmerksamkeit, und er
lächelte.
Ein großer Vogel stieg über der Stadt auf.
Der Reiher brummte klagend und versuchte, in weiten Kreisen an
Höhe zu gewinnen. Die Stadt drehte sich unter Korporal Knuddel
Winzig, als er die Knie noch fester an den Leib des Vogels presste und
ihn mit dem Wind fliegen ließ. Kurze Zeit später landete der Reiher auf
dem Kunstturm, dem höchsten Gebäude der Stadt, und kam nach
einigen torkelnden Schritten zum Stehen.
Mit einer geübten Bewegung durchschnitt der Gnom den Strick, mit
dem das mobile Semaphor befestigt war, und sprang dann in den
Kompost aus Efeulaub und alten Rabennestern, der auf dem Turm eine
Art Teppich bildete.
Der Reiher beobachtete ihn mit großäugiger Dummheit. Knuddel
hatte ihn auf die übliche Weise der Gnome gezähmt: Man malte sich
grün an, wartete im Sumpf und quakte; wenn dann ein Reiher kam, um
einen zu fressen, lief man über seinen Schnabel nach oben und gab dem
Vogel eins auf die Rübe. Bis er wieder zu sich kam, hatte man ihm das
spezielle Öl – Knuddel war einen ganzen Tag lang mit der Herstellung
beschäftigt gewesen, und der Gestank hatte al e Wächter aus dem
Wachhaus vertrieben – in die Nasenlöcher gepustet, und dann sah der
Vogel einen an und glaubte, seine Mutter zu sehen.
Ein Reiher war nützlich, denn er konnte Ausrüstung tragen. Für
Verkehrspatrouillen zog Knuddel einen Sperber vor, weil er besser über
einer Stel e kreisen konnte.
Er ließ die Arme des tragbaren Semaphors an dem Pfahl einrasten,
den er hier vor einigen Wochen vorbereitet hatte, zog dann ein winziges
Fernrohr aus der Satteltasche des Reihers, band es an die steinerne
Kante und blickte fast senkrecht in die Tiefe. Knuddel mochte solche
Momente. Nur bei diesen Gelegenheiten waren al e anderen kleiner als
er selbst.
»Nun… mal sehen, was wir sehen können«, brummte er.
Er sah die Universitätsgebäude. Er sah den Uhrturm des Alten Tom
und die unverkennbare Masse von Feldwebel Detritus, der zwischen
den nahen Schornsteinen kletterte. Das gelbe Licht des heranziehenden
Unwetters spiegelte sich auf den Helmen der Wächter wider, die tief
unten durch die Straßen eilten. Und dort, geduckt hinter einer
Brüstung…
»Na bitte«, sagte Knuddel leise und streckte die Hand nach den
Griffen des Semaphors aus.
»D…T…R…T…S Stop N…W…T Stop L…T…R Stop T…M«, sagte
Grinsi.
Mumm nickte. Detritus befand sich auf dem Dach unweit des Alten
Tom. Und Detritus trug eine Belagerungsarmbrust, die nicht einmal
drei Männer hätten heben können und die so umgebaut war, dass sie
ein ganzes Pfeilbündel abfeuerte. Die an dem Vorgang beteiligten
Kräfte ließen die Pfeile meistens in der Luft zerbrechen, was dazu
führte, dass das Ziel von einer sich ausdehnenden Wolke aus
brennenden Splittern getroffen wurde. Mumm hatte verboten, diese
Waffe gegen Personen einzusetzen, aber sie bot eine ausgezeichnete
Möglichkeit, in ein Gebäude zu gelangen. Man konnte damit Vorder-
und Hintertür gleichzeitig öffnen.
»Er soll einen
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