Die Nadel.
bei Boussens . . . Ich könnte noch mehr Beispiele nennen.
Die
Lage ist klar. In den besetzten Gebieten häufen sich Sabotage und Verrat. An allen unseren
Fronten, überall, trifft der Feind Vorbereitungen, durchzustoßen. Keiner von uns
bezweifelt, daß in diesem Sommer eine große alliierte Offensive stattfindenwird, und wir können sicher sein, daß all diese Scharmützel uns
davon ablenken sollen, herauszufinden, wo genau der Feind zuschlagen wird.«
Der
Generalinspekteur machte eine Pause. Der oberlehrerhafte Vortrag reizte Rommel. Er nutzte
die Gelegenheit, um einzuwerfen: »Dafür haben wir einen Generalstab, um solche Meldungen
ins militärische Gesamtbild einzuordnen, die Bewegungen des Feindes einzuschätzen und
frühzeitig zu erkennen.«
Guderian lächelte nachsichtig. »Auch Hellseherei dieser
Art hat ihre Grenzen. Ich bin sicher, daß Sie Ihre eigenen Vorstellungen davon haben, wo
der Angriff stattfinden wird. Solche Vorstellungen haben wir alle. Unsere Strategie muß
die Möglichkeit mit einbeziehen, daß unsere Vermutungen falsch sind.«
Rommel
verstand jetzt, worauf der umständliche Vortrag des Generals abzielte. Er mußte sich
beherrschen, um nicht lauthals Widerspruch zu äußern, bevor Guderian zum Ende seiner
Ausführungen gekommen war.
»Sie befehligen vier Panzerdivisionen«, fuhr Guderian
fort. »Die 2. Panzerdivision in Amiens, die 116. in Rouen, die 21. in Caen und die 2. SS-
Division in Toulouse. General von Schweppenburg hat Ihnen schon vorgeschlagen, daß all
diese Verbände weit von der Küste entfernt massiert werden sollten, um an jeder Stelle
sofort zurückschlagen zu können. Diese strategische Variante spielt in den Planungen des
OKW eine entscheidende Rolle. Trotzdem haben Sie sich nicht nur von Schweppenburgs
Vorschlag widersetzt, sondern die 21. sogar bis ganz an die Atlantikküste
vorgezogen.«
»Und die drei anderen müssen so schnell wie möglich nachrücken«,
sagte Rommel zornig. »Wann wird man im Generalstab endlich begreifen? Die Alliierten
haben die Luftherrschaft. Wenn die Invasion erst einmal angelaufen ist, liegen die
Panzerverbände – von wenigen, unbedeutenden Ausnahmen abgesehen – fest. Eine
bewegliche Truppenführung ist dann nicht mehr möglich. Wenn Ihre kostbaren Panzer bei der
Landung der Alliierten in Paris stehen, werden sie auch in Paris bleiben – fest-genagelt von der RAF –, bis die Alliierten über den Boulevard
St. Michel marschieren. Ich kenne das – denn mir ist es schon passiert. Zweimal!« Er
schöpfte Atem. »Wenn wir unsere Panzerdivisionen als Einsatzreserve zurückziehen, werden
sie nutzlos. Wir können keine Gegenangriffe unternehmen. Wir müssen die Invasionstruppen
an der Küste bekämpfen, wo sie am verwundbarsten sind, und sie ins Meer
zurückwerfen.«
Die Röte wich aus seinem Gesicht, während er seine eigenen
Vorstellungen darlegte. »Ich habe Unterwasserhindernisse bauen, den Atlantikwall
verstärken, Minenfelder legen und Pfähle in jede Wiese treiben lassen, die im Hinterland
als Flugplatz benutzt werden könnte. Alle meine Truppen heben Verteidigungsstellungen aus,
wenn sie nicht gerade exerzieren.
Meine Panzerdivisionen müssen an die Küste
vorrücken. Die Reserve des OKW sollte nach Frankreich verlegt werden. Man muß die 9. und
10. SS-Division von der Ostfront abziehen. Unsere ganze Strategie muß darauf abzielen,
die Alliierten an der Errichtung eines Brückenkopfes zu hindern. Denn wenn ihnen das
gelingt, ist die Schlacht verloren . . . vielleicht sogar der Krieg.«
Guderian
beugte sich vor; seine Augen waren zu diesem aufreizenden, ironischen Lächeln
zusammengekniffen.
»Sie wollen also, daß wir die ganze europäische Küstenlinie
von Tromsö in Norwegen um die Iberische Halbinsel herum bis nach Rom verteidigen. Und
woher sollen wir die Armeen dafür nehmen?«
»Diese Frage hätte man sich 1938
stellen sollen«, knurrte Rommel.
Ein verlegenes Schweigen entstand nach dieser
Bemerkung, die um so bestürzender war, als sie von Rommel stammte, der an sich an Politik
völlig desinteressiert war.
Von Schweppenburg überspielte die peinliche Situation,
indem er fragte: »Herr Feldmarschall, wo findet denn der Angriff Ihrer Meinung nach
statt?«
Rommel dachte nach. »Bis vor kurzem war ich davon über-
zeugt, daß die Pas-de-Calais-Theorie zutrifft. Als ich jedoch das letzte
Mal beim Führer war, haben mich seine
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