Die Nadel.
unterhielt sich über den Sitzkrieg. Er überstieg, wie ein
Kinofilm, die eigene Erlebniswelt, war aber zugleich trivial. Und bislang hatte sich noch
jeder Fliegeralarm als blinder Alarm erwiesen.
Faber sah die ganze Sache anders –
aber er war auch ein ganz anderer Mensch.
Er bog mit seinem Rad in die Archway Road und
beugte sich ein wenig vor, um die Steigung besser zu bewältigen; seine langen Beine pumpten
so unermüdlich wie die Kolben einer Lokomotive. Für sein Alter war er sehr fit. Er war
neununddreißig, was er allerdings verschwieg; er log fast in allem, um sich nicht unnötig zu
gefährden.
Faber begann zu schwitzen, während er den Hügel nach Highgate
hochstrampelte. Das Haus, in dem er wohnte, war eines der am höchsten gelegenen Londons,
deshalb hatte er es sich ausgesucht. Es war ein viktorianischer Ziegelbau am Ende einer
Terrasse von sechs gleichartigen Bauten. Die Häuser waren hoch, schmal und finster – wie
der Geist der Männer, für die sie gebaut worden waren. Jedes besaß drei Stockwerke und ein
Untergeschoß mit einem Dienstboteneingang. Für das gehobene Bürgertum des 19. Jahrhunderts
war ein Dienstboteneingang unverzichtbarer Bestandteil, selbst wenn man keine Diener
hatte. Faber war zynisch, was die Engländer anging.
Nummer sechs hatte Mr. Harold
Garden gehört, dem Besitzer von Garden’s Tea and Coffee , einer kleinen Firma, die
während der Weltwirtschaftskrise pleite ging. Da er nach dem Prinzip gelebthatte, daß Zahlungsunfähigkeit eine Todsünde ist, war dem bankrotten
Mr. Garden nichts anderes übriggeblieben, als zu sterben. Das Haus war alles, was er seiner
Witwe hinterlassen hatte, die nun Zimmer vermieten mußte. Sie hatte Spaß an ihrer Rolle als
Hauswirtin, obwohl die Etikette ihres gesellschaftlichen Standes verlangte, daß sie so tat,
als schäme sie sich dessen ein bißchen. Faber hatte ein Zimmer mit Dachfenster im
Obergeschoß. Er wohnte dort von Montag bis Freitag und erzählte Mrs. Garden, daß er das
Wochenende bei seiner Mutter in Erith verbringe. In Wirklichkeit hatte er eine weitere
Hauswirtin in Blackheath, die ihn Mr. Baker nannte und ihn für den Handelsreisenden einer
Papierwarenfirma hielt, der die ganze Woche unterwegs war.
Er schob sein Rad unter den
finsterabweisenden, hohen Vorderzimmerfenstern vorbei den Gartenpfad hinauf. Dann stellte er
es in den Schuppen und kettete es mit einem Vorhängeschloß am Rasenmäher an – es war
nämlich verboten, ein Fahrzeug unverschlossen abzustellen. Die Saatkartoffeln in den Kisten,
die überall im Schuppen standen, trieben Keime. Mrs. Garden pflanzte jetzt auf ihren
Blumenbeeten Gemüse an – ihr Beitrag zum Krieg an der Heimatfront.
Faber betrat das
Haus, hängte seinen Hut an den Ständer im Flur, wusch sich die Hände und ging hinein zum
Abendessen. Drei der anderen Mieter aßen schon: ein pickeliger Junge aus Yorkshire, der
unbedingt Soldat werden wollte, ein Süßwaren-Vertreter mit Geheimratsecken und sandfarbenem
Haar und ein pensionierter Marineoffizier, der nach Fabers Überzeugung an Altersschwachsinn
litt. Faber nickte ihnen zu und setzte sich.
Der Vertreter erzählte gerade einen
Witz. »Der Staffelführer sagte: ?Sie sind entschieden zu früh zurück!? Da drehte sich
der Pilot um und sagte: ?Warum? Ich habe meine Flugblätter bündelweise abgeworfen. War das
nicht richtig?? Da meinte der Staffelführer: ?Um Gottes willen, Sie hätten jemanden
verletzen können!?«
Der Marineoffizier lachte gackernd, und Faber lächelte.Mrs. Garden kam mit einer Teekanne herein. »Guten Abend, Mr. Faber. Wir haben
schon ohne Sie angefangen. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus.«
Faber bestrich eine
Scheibe Vollkornbrot dünn mit Margarine und sehnte sich für einen Moment nach einer Scheibe
fetter Wurst. »Ihre Saatkartoffeln können gepflanzt werden«, sagte er.
Er beeilte
sich mit dem Essen. Die anderen diskutierten darüber, ob Chamberlain entlassen und durch
Churchill ersetzt werden solle. Immer, wenn Mrs. Garden etwas sagte, blickte sie Faber an und
schien auf seine Reaktion zu warten. Sie hatte ein gerötetes Gesicht und war ein bißchen
übergewichtig. Obwohl sie in Fabers Alter war, trug sie die Kleidung einer
Dreißigjährigen. Faber hatte schnell gemerkt, daß sie nach einem neuen Mann Ausschau
hielt. Er beteiligte sich nicht an der Diskussion.
Mrs. Garden drehte das Radio an. Es
summte eine Weile,
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