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Die Nadel.

Titel: Die Nadel. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follettl
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unterhielt sich über den Sitzkrieg. Er überstieg, wie ein
     Kinofilm, die eigene Erlebniswelt, war aber zugleich trivial. Und bislang hatte sich noch
     jeder Fliegeralarm als blinder Alarm erwiesen.
    Faber sah die ganze Sache anders –
     aber er war auch ein ganz anderer Mensch.
    Er bog mit seinem Rad in die Archway Road und
     beugte sich ein wenig vor, um die Steigung besser zu bewältigen; seine langen Beine pumpten
     so unermüdlich wie die Kolben einer Lokomotive. Für sein Alter war er sehr fit. Er war
     neununddreißig, was er allerdings verschwieg; er log fast in allem, um sich nicht unnötig zu
     gefährden.
    Faber begann zu schwitzen, während er den Hügel nach Highgate
     hochstrampelte. Das Haus, in dem er wohnte, war eines der am höchsten gelegenen Londons,
     deshalb hatte er es sich ausgesucht. Es war ein viktorianischer Ziegelbau am Ende einer
     Terrasse von sechs gleichartigen Bauten. Die Häuser waren hoch, schmal und finster – wie
     der Geist der Männer, für die sie gebaut worden waren. Jedes besaß drei Stockwerke und ein
     Untergeschoß mit einem Dienstboteneingang. Für das gehobene Bürgertum des 19. Jahrhunderts
     war ein Dienstboteneingang unverzichtbarer Bestandteil, selbst wenn man keine Diener
     hatte. Faber war zynisch, was die Engländer anging.
    Nummer sechs hatte Mr. Harold
     Garden gehört, dem Besitzer von Garden’s Tea and Coffee , einer kleinen Firma, die
     während der Weltwirtschaftskrise pleite ging. Da er nach dem Prinzip gelebthatte, daß Zahlungsunfähigkeit eine Todsünde ist, war dem bankrotten
     Mr. Garden nichts anderes übriggeblieben, als zu sterben. Das Haus war alles, was er seiner
     Witwe hinterlassen hatte, die nun Zimmer vermieten mußte. Sie hatte Spaß an ihrer Rolle als
     Hauswirtin, obwohl die Etikette ihres gesellschaftlichen Standes verlangte, daß sie so tat,
     als schäme sie sich dessen ein bißchen. Faber hatte ein Zimmer mit Dachfenster im
     Obergeschoß. Er wohnte dort von Montag bis Freitag und erzählte Mrs. Garden, daß er das
     Wochenende bei seiner Mutter in Erith verbringe. In Wirklichkeit hatte er eine weitere
     Hauswirtin in Blackheath, die ihn Mr. Baker nannte und ihn für den Handelsreisenden einer
     Papierwarenfirma hielt, der die ganze Woche unterwegs war.
    Er schob sein Rad unter den
     finsterabweisenden, hohen Vorderzimmerfenstern vorbei den Gartenpfad hinauf. Dann stellte er
     es in den Schuppen und kettete es mit einem Vorhängeschloß am Rasenmäher an – es war
     nämlich verboten, ein Fahrzeug unverschlossen abzustellen. Die Saatkartoffeln in den Kisten,
     die überall im Schuppen standen, trieben Keime. Mrs. Garden pflanzte jetzt auf ihren
     Blumenbeeten Gemüse an – ihr Beitrag zum Krieg an der Heimatfront.
    Faber betrat das
     Haus, hängte seinen Hut an den Ständer im Flur, wusch sich die Hände und ging hinein zum
     Abendessen. Drei der anderen Mieter aßen schon: ein pickeliger Junge aus Yorkshire, der
     unbedingt Soldat werden wollte, ein Süßwaren-Vertreter mit Geheimratsecken und sandfarbenem
     Haar und ein pensionierter Marineoffizier, der nach Fabers Überzeugung an Altersschwachsinn
     litt. Faber nickte ihnen zu und setzte sich.
    Der Vertreter erzählte gerade einen
     Witz. »Der Staffelführer sagte: ?Sie sind entschieden zu früh zurück!? Da drehte sich
     der Pilot um und sagte: ?Warum? Ich habe meine Flugblätter bündelweise abgeworfen. War das
     nicht richtig?? Da meinte der Staffelführer: ?Um Gottes willen, Sie hätten jemanden
     verletzen können!?«
    Der Marineoffizier lachte gackernd, und Faber lächelte.Mrs. Garden kam mit einer Teekanne herein. »Guten Abend, Mr. Faber. Wir haben
     schon ohne Sie angefangen. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus.«
    Faber bestrich eine
     Scheibe Vollkornbrot dünn mit Margarine und sehnte sich für einen Moment nach einer Scheibe
     fetter Wurst. »Ihre Saatkartoffeln können gepflanzt werden«, sagte er.
    Er beeilte
     sich mit dem Essen. Die anderen diskutierten darüber, ob Chamberlain entlassen und durch
     Churchill ersetzt werden solle. Immer, wenn Mrs. Garden etwas sagte, blickte sie Faber an und
     schien auf seine Reaktion zu warten. Sie hatte ein gerötetes Gesicht und war ein bißchen
     übergewichtig. Obwohl sie in Fabers Alter war, trug sie die Kleidung einer
     Dreißigjährigen. Faber hatte schnell gemerkt, daß sie nach einem neuen Mann Ausschau
     hielt. Er beteiligte sich nicht an der Diskussion.
    Mrs. Garden drehte das Radio an. Es
     summte eine Weile,

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