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Die Nadel.

Titel: Die Nadel. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follettl
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Schlamm dem Fahrzeug
     hinterher.
    Lucy bemerkte es mit Entsetzen.
    Sie zog mit aller Kraft am
     Handgaszug, so daß sie fast den dünnen Hebel abbrach. Am liebsten hätte sie vor
     Verzweiflung geschrien. Henry war nur noch rund einen Meter entfernt, fast auf gleicher
     Höhe mit ihr. Er lief wie ein durchtrainierter Sportler, seine Arme pumpten wie Kolben,
     seine nackten Füße stampften über den matschigen Boden, seine Wangen blähten sich, und
     seine nackte Brust hob und senkte sich.
    Der Motor kreischte auf, und als das
     automatische Getriebe in einen höheren Gang schaltete, gab es einen Ruck, und mehr Energie
     wurde frei.
    Lucy blickte wieder zur Seite. Henry schien einzusehen, daß sie ihm
     entkommen würde, und er machte einen Satz nach vorn. Er bekam den Türgriff mit der linken
     Hand zu packen und schob die rechte nach. Vom Wagen gezogen, lief er ein paar Schritte
     nebenher, dabei berührten seine Füße kaum den Boden. Lucystarrte in
     sein Gesicht, das ihrem so nahe war: Es war rot vor Anstrengung und schmerzverzerrt, die
     Sehnen seines kräftigen Halses traten unter der Belastung hervor.
    Plötzlich wußte
     sie, was sie zu tun hatte.
    Sie nahm die Hand vom Lenkrad, steckte sie durch das
     offene Fenster und stach ihm den langen Nagel des Zeigefingers ins Auge.
    Er ließ
     los und fiel zurück. Seine Hände waren vors Gesicht geschlagen.
    Die Entfernung
     zwischen ihm und dem Geländewagen vergrößerte sich rasch.
    Lucy merkte, daß sie
     weinte wie ein kleines Kind.
    Zwei Meilen von ihrem Haus
     entfernt sah sie den Rollstuhl.
    Er stand auf der Höhe der Klippen wie ein Denkmal;
     der unaufhörliche Regen konnte seinem Metallrahmen und den großen Gummireifen nichts
     anhaben. Lucy näherte sich ihm aus einer leichten Mulde. Seine schwarze Silhouette war von
     dem schiefergrauen Himmel und dem brodelnden Meer eingerahmt. Er sah verletzt aus, wie das
     Loch, das ein entwurzelter Baum hinterläßt, oder ein Haus mit zerbrochenen Fenstern, als
     ob sein Besitzer ihm entrissen worden sei.
    Sie dachte an das erste Mal, als sie ihn
     gesehen hatte. Es war im Krankenhaus. Blitzblank und neu hatte er neben seinem Bett
     gestanden, und David hatte sich gekonnt hineingeschwungen und war den Korridor auf und ab
     geflitzt. Er wollte ein wenig angeben. »Er ist federleicht, aus einer Legierung, wie sie
     für Flugzeuge verwendet wird«, sagte er mit dünn aufgetragener Begeisterung und fuhr
     zwischen den Bettreihen davon. Er hielt am anderen Ende des Ganges und drehte ihr den
     Rücken zu. Nach einer Minute ging sie hin und sah, daß er weinte. Sie kniete vor ihm
     nieder und hielt schweigend seine Hände.
    Es war das letzte Mal gewesen, daß sie
     David hatte trösten können.
    Dort auf der Klippe würden der Regen und der salzige
     Winddie Legierung bald angreifen. Sie würde schließlich rosten und
     abblättern, das Gummi der Reifen würde brüchig werden und das Leder des Sitzes
     vermodern.
    Lucy fuhr vorbei, ohne die Geschwindigkeit zu verringern.
    Drei
     Meilen weiter, auf halber Strecke zwischen den beiden Häusern, ging ihr das Benzin
     aus.
    Sie verdrängte ihre Panik und versuchte logisch zu denken, während der
     Geländewagen ruckelnd zum Stehen kam.
    Irgendwo hatte sie gelesen, daß Menschen in
     einer Stunde zu Fuß etwa vier Meilen zurücklegen. Henry war durchtrainiert, aber er hatte
     sich den Knöchel verletzt. Obwohl er schnell zu heilen schien, konnte ihm der Spurt hinter
     dem Wagen her kaum gut bekommen sein. Sie hatte also einen sicheren Vorsprung von einer
     guten Stunde.
    Lucy hatte nicht den geringsten Zweifel daran, daß er sie verfolgen
     würde. Er wußte genausogut wie sie, daß in Toms Haus ein Funkgerät stand.
    Sie
     hatte genügend Zeit. Hinten im Fahrzeug befand sich für Fälle wie diesen ein
     Reservekanister mit zwei Litern Benzin. Sie stieg aus, kramte den Kanister hervor und
     schraubte den Deckel ab.
    Dann hatte sie einen Einfall, der so teuflisch war, daß er
     sie selbst überraschte.
    Lucy schraubte den Deckel wieder zu und ging nach
     vorne. Sie überzeugte sich, daß die Zündung abgeschaltet war, und öffnete die
     Motorhaube.
    Sie verstand zwar nicht viel von Technik, aber sie konnte die
     Verteilerkappe und die Leitungen zum Motor ausfindig machen. Sie klemmte den Benzinkanister
     fest neben die Radwölbung und nahm den Deckel ab.
    Im Werkzeugkasten war ein
     Zündkerzenschlüssel. Lucy schraubte die Kerze heraus, steckte sie in die Öffnung des
    

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