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Die Nadel.

Titel: Die Nadel. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follettl
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mit Feuereifer
     der Schafzucht und raste mit seinem Spezial-Geländewagen, den Rollstuhl hinter den Sitz
     geklemmt, über die Insel. Als Betsy, Toms Hund, blind zu werden begann, half er Tom, einen
     neuen Hund abzurichten, er brannte das Heidekraut ab, baute Zäune entlang den tückischen
     Klippen und schoß auf die Adler. Und im Frühling war er jede Nacht bei den Schafen zum
     Ablammen. Und als nichts zu tun blieb, fällte er eines Tages eine große alte Kiefer in
     der Nähe von Toms Haus und verbrachte zwei Wochen damit, sie zu entrinden und in handliche
     Scheite zu hacken, die er als Feuerholz zum Haus transportierte. Nichts ging ihm über
     wirklich schwere körperliche Arbeit. Er lernte, sich fest an den Rollstuhl zu schnallen,
     damit er Halt hatte, wenn er eine Axt oder einen Vorschlaghammer schwang. Wenn Tom keine
     Arbeit für ihn hatte, übte er stundenlang mit zwei Keulen, die er sich geschnitzt
     hatte. Seine Arm- und Rückenmuskeln nahmen groteske Formen an wie die von Männern, die
     Preise beim Gewichtheben gewinnen.
    Er weigerte sich rundheraus, Geschirr
     abzuwaschen, Essen zu kochen oder das Haus zu putzen.
    Lucy war nicht unglücklich. Sie hatte befürchtet, daß er den ganzen Tag am Kamin sitzen und über sein Schicksal nachgrübeln würde. Es beunruhigte sie ein wenig, daß er wie ein Besessener arbeitete, aber immerhin ließ er sich nicht gehen.
    An Weihnachten erzählte sie ihm von dem Baby. Am Morgen hatte sie ihm eine Motorsäge geschenkt und von ihm einen Ballen Seide bekommen. Tom kam zum Dinner; sie aßen eine Wildgans, die er geschossen hatte. Danach fuhr David den Schafhirten nach Hause. Als er zurückkam, öffnete Lucy eine Flasche Brandy.
    Dann sagte sie: »Ich habe noch ein Geschenk für dich, aber du kannst es erst im Mai aufmachen.«
    Er lachte. »Wovon in aller Welt redest du? Wieviel Brandy hast du getrunken, während ich weg war?«
    »Ich bekomme ein Kind.«
    Er starrte sie an. In seiner Miene war nichts von dem Lachen geblieben. »Mein Gott, das hat uns gerade noch gefehlt.«
    »David!«
    »Ja, verdammt . . . Wann ist das passiert?«
    »Das ist nicht schwer auszurechnen, oder?« sagte sie bitter. »Es muß eine Woche vor der Hochzeit gewesen sein. Ein Wunder, daß es den Unfall überstanden hat.«
    »Warst du bei einem Arzt?«
    »Ha – wann denn?«
    »Du bist also nicht sicher?«
    »Oh, David, sei doch nicht so begriffsstutzig. Ich bin sicher, weil meine Periode aufgehört hat, meine Brustwarzen weh tun, ich mich morgens übergebe und meine Taille zehn Zentimeter dicker geworden ist. Wenn du mich je anschautest, wärest du auch sicher.«
    »Schon gut.«
    »Was ist los mit dir? Eigentlich solltest du begeistert sein.«
    »Oh, natürlich. Vielleicht haben wir einen Sohn, dann kann ich mit ihm spazierengehen und Fußball mit ihm spielen. Er wird aufwachsen und sich wünschen, wie sein Vater, der Kriegsheld, zu sein – ein beschissener beinloser Krüppel!«
    »Oh, David, David«, flüsterte Lucy. Sie kniete sich vor seinen Rollstuhl. »David, so etwas darfst du nicht denken. Er wird dich achten. Er wird zu dir aufblicken, weil du wieder mit deinem Leben fertig wirst, weil du in deinem Rollstuhl die Arbeit von zwei Männern leistest und weil du deine Behinderung mit Mut und Gelassenheit trägst.«
    »Sei nicht so verdammt herablassend«, schnappte er. »Du redest wie ein salbungsvoller Priester.«
    Sie stand auf. »Tu nicht so, als wenn’s meine Schuld wäre. Auch Männer können sich vorsehen.«
    »Gegen unsichtbare Lastwagen in der Verdunklung hilft keine Vorsicht!«
    Es war eine alberne, unsinnige Entschuldigung. Sie wußten es beide, deshalb antwortete Lucy nicht. Weihnachten erschien ihr plötzlich vollkommen nichtssagend; die bunten Papierschnitzel an der Wand, der Baum in der Ecke, die Reste des Gänsebratens, die in der Küche darauf warteten, weggeworfen zu werden – nichts davon hatte das geringste mit ihrem Leben zu tun. Sie begann sich zu fragen, warum sie auf dieser öden Insel war, mit einem Mann, der sie nicht zu lieben schien, mit einem Baby, das er nicht wollte. Es wurde ihr klar, daß sie nirgendwohin gehen, nichts anderes mit ihrem Leben anfangen und niemand anders sein konnte als Mrs. David Rose.
    Schließlich sagte David: »Ich gehe jetzt schlafen.«
    Er rollte hinaus auf den Flur, stemmte sich aus dem Stuhl und hievte sich rückwärts die Treppe empor. Sie hörte, wie er oben über den Boden rutschte, wie das Bett knarrte, als er sich hinaufschwang,

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