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Die Nadel.

Titel: Die Nadel. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follettl
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zähe Schafe, wilde Vögel, massive
     Häuser und starke Männer; harte und kalte Dinge, grausame und bittere und scharfe Dinge,
     rauhe, ruhige und entschlossene Dinge; Dinge, die so kalt und hart und unbarmherzig sind
     wie die Insel selbst.
    Das Wort »öde« wurde für Orte wie diesen erfunden.
    »Die Insel heißt Storm Island«, sagte Alfred Rose. »Ich
     glaube, sie wird euch gefallen.«
    David und Lucy Rose saßen im Bug des
     Fischerbootes und blickten über die unruhige See. Es war ein schöner Novembertag,kalt und windig, doch klar und trocken. Die schwache Sonne glänzte auf
     den kleinen Wellen.
    »Ich habe sie 1926 gekauft«, fuhr Papa Rose fort, »als wir
     dachten, daß es eine Revolution geben würde und wir uns irgendwo vor der Arbeiterklasse
     verstecken müßten. Für eine Genesung ist sie bestens geeignet.«
    Lucy hielt
     seinen Tonfall für verdächtig jovial, aber sie mußte zugeben, daß die Insel hübsch
     aussah: vom Wind zerzaust, natürlich und frisch. Und dieser Schritt war vernünftig. Sie
     mußten sich von ihren Eltern lösen und in ihrer Ehe nochmals von vorne anfangen. Es hatte
     wenig Sinn, in eine Stadt zu ziehen, die bombardiert werden würde, da keiner von ihnen
     imstande war, wirklich helfen zu können. Es schien zu schön, um wahr zu sein, als Davids
     Vater plötzlich verraten hatte, daß er eine Insel vor der Küste Schottlands besaß.
    »Mir gehören auch die Schafe«, sagte Papa Rose. »Jeden Frühling kommen Scherer vom
     Festland herüber, und die Wolle bringt gerade genug ein, um Tom McAvity zu entlohnen. Der
     alte Tom ist der Schafhirte.«
    »Wie alt ist er?« fragte Lucy.
    »Du lieber
     Himmel, er muß siebzig sein!«
    »Vermutlich ist er ein wenig . . . eigenartig.«
     Das Boot bog in die Bucht ein, und Lucy konnte zwei kleine Gestalten auf der Anlegestelle
     erkennen: einen Mann und einen Hund.
    »Eigenartig? Nicht mehr als du, wenn du seit
     zwanzig Jahren allein gelebt hättest. Er unterhält sich mit seinem Hund.« Lucy wandte
     sich an den Besitzer des kleinen Bootes. »Wie oft kommen Sie hier vorbei?«
    »Einmal alle zwei Wochen, Missus. Ich bringe Toms Einkäufe – das ist nicht viel –
     und seine Post – das ist noch weniger. Sie brauchen mir nur jeden zweiten Montag Ihre
     Liste zu geben, und wenn die Sachen in Aberdeen zu kriegen sind, bringe ich sie mit.«
    Er schaltete den Motor ab und warf Tom ein Tau zu. Der Hund bellte und lief, außer sich
     vor Aufregung, im Kreis herum.Lucy stellte einen Fuß auf das Schanzdeck
     und sprang auf die Anlegestelle hinüber.
    Tom nahm ihre Hand. Sein Gesicht war wie
     aus Leder, und er hatte eine gewaltige Bruyèrepfeife mit einem Deckel im Mundwinkel. Er
     war kleiner als sie, aber sehr breit, und sah unglaublich gesund aus. Er trug die
     verfilzteste Tweedjacke, die sie je gesehen hatte, darunter einen Strickpullover, den
     irgendeine ältliche Schwester, wer weiß wo, gestrickt haben mußte, eine karierte Mütze
     und Armeestiefel. Seine Nase war riesig, rot und geädert. »Freut mich sehr«, sagte er
     höflich, als sei sie heute schon die soundsovielte Besucherin, und nicht die erste
     Menschenseele, die er seit vierzehn Tagen gesehen hatte.
    »Hier, Tom«, sagte der
     Kapitän. Er reichte zwei Pappkartons aus dem Boot. »Diesmal gibt’s keine Eier, aber
     hier ist ein Brief aus Devon.«
    »Der muß von meiner Nichte sein.«
    Lucy
     dachte: Das erklärt den Pullover.
    David war immer noch im Boot. Der Schiffer stand
     hinter ihm und fragte: »Sind Sie bereit?«
    Tom und Papa Rose bückten sich in das
     Boot, um ihm zu helfen, und die drei hievten David in seinem Rollstuhl auf die
     Anlegestelle.
    »Wenn ich jetzt nicht verschwinde, muß ich zwei Wochen auf den
     nächsten Bus warten«, sagte Papa Rose mit einem Lächeln. »Ihr werdet sehen, daß das
     Haus ganz nett hergerichtet ist. All eure Sachen sind dort. Tom zeigt euch, wo alles ist.«
     Er küßte Lucy, drückte Davids Schulter und schüttelte Tom die Hand. »Ruht euch ein
     paar Monate zusammen aus, werdet ganz gesund, und kommt zurück.«
    Lucy wußte, daß
     sie nicht zurückkehren würden – jedenfalls nicht vor Ende des Krieges. Doch sie hatte
     es noch niemandem gesagt.
    Papa stieg wieder ins Boot. Es drehte in einem engen Kreis
     ab. Lucy winkte, bis es hinter der Landspitze verschwunden war.
    Da Tom den Rollstuhl
     schob, nahm Lucy seine Lebensmittel.Zwischen dem zum Land hin gelegenen
     Ende der Anlegestelle und der Spitze der Klippe war eine

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