Die Nadel.
wie er seine Kleidung in die Zimmerecke schleuderte, als er sich auszog, und das letzte Ächzen der Bettfedern, als er sich hinlegte und die Decke über seinen Pyjama zog.
Trotzdem weinte sie nicht.
Sie blickte auf die Brandyflasche und dachte: »Wenn ich sie austrinke und danach ein Bad nehme, bin ich vielleicht morgen früh schon nicht mehr schwanger.«
Sie dachte eine Weile darüber nach, bis sie zu dem Schlußkam, daß ein Leben ohne David, ohne die Insel und ohne das Kind noch schlimmer sein würde, weil es keinen Inhalt hätte.
Deswegen weinte sie auch nicht, und sie trank auch den Brandy nicht, und sie verließ auch die Insel nicht; sie ging nach oben, legte sich ins Bett und lag wach neben ihrem schlafenden Mann, hörte dem Wind zu und versuchte, nicht nachzudenken, bis die Möwen zu schreien begannen und eine regengraue Dämmerung sich langsam über der Nordsee ausbreitete und das kleine Schlafzimmer mit kaltem, freudlosem Silberlicht erhellte. Dann endlich schlief sie ein.
Als der Frühling anbrach, kam eine Art Frieden über sie, als seien alle Drohungen aufgeschoben, solange das Baby noch nicht geboren war. Als der Februarschnee getaut war, pflanzte sie Blumen und Gemüse auf dem Fleckchen Erde zwischen der Küchentür und der Scheune. Eigentlich glaubte sie nicht, daß sie wachsen würden.
Sie putzte das Haus gründlich und sagte David, daß er es selbst tun müsse, wenn er es vor August noch einmal für nötig halten sollte. Sie schrieb an ihre Mutter, strickte viel und bestellte Windeln per Post. Ihre Mutter schlug vor, sie solle nach Hause fahren, um dort das Baby zu bekommen, doch sie wußte, daß sie dann nie zurückkehren würde. Sie machte lange Spaziergänge durch die Moore, bis es ihr am Ende zu beschwerlich wurde. Die Flasche Brandy bewahrte sie in einem Schrank auf, an den David nie ging, und immer wenn sie sich niedergeschlagen fühlte, sah sie die Flasche an und dachte daran, was sie beinahe verloren hätte.
Drei Wochen vor dem ausgerechneten Geburtstermin nahm sie das Boot nach Aberdeen. David und Tom winkten ihr von der Anlegestelle nach. Die See war so rauh, daß Lucy und der Kapitän entsetzliche Angst hatten, sie könne niederkommen, bevor sie das Festland erreichten. In Aberdeen ging sie ins Krankenhaus. Vier Wochen später brachte sie das Baby auf demselben Boot mit nach Hause.
David erfuhr gar nichts. Wahrscheinlich dachte er, daßFrauen so leicht gebären wie Mutterschafe. Er ahnte nichts vom Schmerz der Wehen und der schrecklichen, unmöglichen Dehnung, von der Qual danach und den herrischen, neunmalklugen Schwestern, die nicht wollten, daß man sein Baby anfaßte, weil man nicht so flott, tüchtig, ausgebildet und steril war wie sie. Er sah nur, daß sie schwanger abreiste und mit einem schönen, weiß eingewickelten, gesunden Jungen zurückkehrte, und er sagte: »Wir werden ihn Jonathan nennen.«
Sie setzten noch »Alfred« nach Davids und »Malcolm« nach Lucys Vater hinzu und »Thomas» nach dem alten Tom, doch sie nannten den Jungen »Jo«, als sei er zu winzig für »Jonathan«, ganz zu schweigen von »Jonathan Alfred Malcolm Thomas Rose«. David lernte, ihm die Flasche zu geben, ihn aufstoßen zu lassen und seine Windeln zu wechseln; gelegentlich schaukelte er ihn sogar auf dem Schoß, aber bei alledem blieb er innerlich unbeteiligt und gleichgültig. Seine Einstellung zu dem Kind war eine rein funktionale, wie bei den Schwestern im Krankenhaus, nicht wie bei Lucy. Tom stand dem Kind innerlich näher als David. Lucy hatte es Tom verboten, in Gegenwart des Säuglings zu rauchen. Der alte Knabe steckte also seine große Bruyèrepfeife in seine Hosentasche, benutzte sie stundenlang nicht, gluckste vor dem kleinen Jo, sah ihm zu, wie er mit den Füßchen strampelte, oder half Lucy, den Kleinen zu baden. Als Lucy ihn einmal freundlich darauf hinwies, daß er doch seine Schafe vernachlässige, sagte Tom, daß die Tiere beim Fressen keinen Aufpasser brauchten. Er wolle lieber zusehen, wie Jo das Fläschchen bekomme. Er schnitzte eine Rassel aus Treibholz und füllte sie mit kleinen, runden Kieselsteinen, und er war überglücklich, als Jo danach griff und sie schüttelte, ohne daß man ihm das vorgemacht hätte.
David und Lucy schliefen immer noch nicht miteinander.
Zuerst waren da seine Verletzungen gewesen, danach ihre Schwangerschaft, und dann hatte sie sich von der Geburt erholen müssen. Aber inzwischen gab es keine Gründe mehr dagegen.
Eines Nachts sagte sie:
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