Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Nadel.

Titel: Die Nadel. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follettl
Vom Netzwerk:
dann sagte ein Sprecher: »Hier ist der BBC Home Service. It’s That
     Man Again! «
    Faber kannte die Sendung. Regelmäßig trat ein deutscher Spion namens
     Funf auf. Faber entschuldigte sich und ging auf sein Zimmer.

    Nach der Sendung It’s That Man Again blieb Mrs. Garden allein im
     Wohnzimmer zurück. Der Marineoffizier war mit dem Vertreter in den Pub gegangen, und der
     Junge aus Yorkshire, der fromm war, in eine Gebetsstunde. Sie saß mit einem kleinen Glas Gin
     im Wohnzimmer, betrachtete die Verdunklungsvorhänge und dachte an Mr. Faber. Wenn er nur
     nicht soviel Zeit in seinem Zimmer verbringen würde! Sie brauchte Gesellschaft, und zwar
     seine.
    Solche Gedanken weckten Schuldgefühle in ihr; um diese zu beschwichtigen,
     dachte sie an Mr. Garden. Bilder der Erinnerung kamen in ihr hoch, vertraut, aber so
     verschwommen wie eine alte Filmkopie mit ausgeleierter Spule und einem unverständlichen
     Tonstreifen. Obwohl sie sich gut daran erinnern konnte, wie es war, ihn bei sich im Zimmer zu
     haben, konnte siesich nur mit Mühe sein Gesicht oder seine Kleidung oder
     seine Bemerkungen zu den Kriegsnachrichten des Tages vorstellen. Er war ein kleiner, flinker
     Mann gewesen, erfolgreich im Geschäft, wenn das Glück ihm lächelte, und erfolglos, wenn
     nicht, zurückhaltend vor anderen und von unersättlicher Zärtlichkeit im Bett. Sie hatte ihn
     sehr geliebt. Wenn dieser Krieg erst einmal richtig angefangen hatte, würde es viele Frauen
     in ihrer Lage geben. Sie goß sich einen weiteren Drink ein.
    Mr. Faber war so ruhig –
     das war das Problem. Er schien keine Laster zu haben. Er rauchte nicht, er roch nie nach
     Alkohol, und er verbrachte fast jeden Abend in seinem Zimmer und hörte im Radio klassische
     Musik. Außerdem las er viele Zeitungen und machte lange Spaziergänge. Sie vermutete, daß er
     trotz seiner niederen Stellung sehr klug war. Seine Beiträge zum abendlichen Gespräch im
     Eßzimmer waren immer etwas durchdachter als die der anderen. Sicher könnte er eine bessere
     Stelle bekommen, wenn er es versuchte. Doch offenbar interessierte ihn das nicht.
    Das
     gleiche galt für sein Aussehen. Er hatte eine gute Figur, war hochgewachsen, mit recht
     muskulösem Nacken und breiten Schultern, ohne ein Gramm Fett. Er hatte lange Beine, ein
     kräftiges Gesicht mit hoher Stirn, nicht zu kurzem Kinn und hellblauen Augen; es war nicht
     hübsch wie das eines Filmstars, doch ein Gesicht, das einer Frau gefällt. Sein Mund
     allerdings war klein und dünnlippig. Sie stellte sich vor, daß er grausam sein
     konnte. Mr. Garden war zu jeder Grausamkeit unfähig gewesen.
    Trotzdem gehörte
     Mr. Faber auf den ersten Blick nicht zu den Männern, nach denen eine Frau sich umdrehen
     würde. Die Hose seines alten, abgetragenen Anzugs war immer ungebügelt – sie hätte das
     mit Freuden für ihn getan, doch er bat sie nie darum –, und er trug immer einen schäbigen
     Regenmantel und eine flache Schauermannsmütze. Er hatte keinen Schnurrbart. Sein Haar ließ
     er alle zwei Wochen kurz schneiden. Es war, als wolle er nach nichts aussehen.
    Er
     brauchte eine Frau, darüber gab es keinen Zweifel. Siefragte sich einen
     Moment lang, ob er das war, was man als »weibisch« bezeichnete, verwarf den Gedanken jedoch
     sofort. Er brauchte eine Frau, die ihn herausputzte und seinen Ehrgeiz weckte. Sie brauchte
     einen Mann, der ihr Gesellschaft leistete und – sie liebte.
    Aber er machte nicht den
     geringsten Annäherungsversuch. Manchmal hätte sie vor Enttäuschung schreien können. Dabei
     war sie sich sicher, daß sie attraktiv aussah. Während sie sich einen weiteren Gin
     einschenkte, schaute sie in den Spiegel. Sie hatte ein nettes Gesicht, blondes lockiges Haar
     und genug, an dem sich ein Mann festhalten konnte . . . Sie kicherte. Wahrscheinlich war sie
     beschwipst.
    Sie nippte an ihrem Drink und überlegte, ob sie den ersten Schritt
     machen sollte. Mr. Faber war offensichtlich schüchtern – chronisch schüchtern. Das andere
     Geschlecht war ihm nicht gleichgültig – das hatte sie bei zwei Gelegenheiten an seinen
     Augen ablesen können, als er sie im Nachthemd gesehen hatte. Sollte sie ihm gegenüber
     vielleicht keß auftreten? Was hatte sie schon zu verlieren? Sie versuchte, sich das
     Schlimmste vorzustellen. Angenommen, er würde sie zurückweisen. Nun, es wäre peinlich –
     sogar demütigend, aber niemand brauchte etwas davon zu erfahren. Er würde eben ausziehen
     müssen.
    Der

Weitere Kostenlose Bücher