Die Nadel.
dann sagte ein Sprecher: »Hier ist der BBC Home Service. It’s That
Man Again! «
Faber kannte die Sendung. Regelmäßig trat ein deutscher Spion namens
Funf auf. Faber entschuldigte sich und ging auf sein Zimmer.
Nach der Sendung It’s That Man Again blieb Mrs. Garden allein im
Wohnzimmer zurück. Der Marineoffizier war mit dem Vertreter in den Pub gegangen, und der
Junge aus Yorkshire, der fromm war, in eine Gebetsstunde. Sie saß mit einem kleinen Glas Gin
im Wohnzimmer, betrachtete die Verdunklungsvorhänge und dachte an Mr. Faber. Wenn er nur
nicht soviel Zeit in seinem Zimmer verbringen würde! Sie brauchte Gesellschaft, und zwar
seine.
Solche Gedanken weckten Schuldgefühle in ihr; um diese zu beschwichtigen,
dachte sie an Mr. Garden. Bilder der Erinnerung kamen in ihr hoch, vertraut, aber so
verschwommen wie eine alte Filmkopie mit ausgeleierter Spule und einem unverständlichen
Tonstreifen. Obwohl sie sich gut daran erinnern konnte, wie es war, ihn bei sich im Zimmer zu
haben, konnte siesich nur mit Mühe sein Gesicht oder seine Kleidung oder
seine Bemerkungen zu den Kriegsnachrichten des Tages vorstellen. Er war ein kleiner, flinker
Mann gewesen, erfolgreich im Geschäft, wenn das Glück ihm lächelte, und erfolglos, wenn
nicht, zurückhaltend vor anderen und von unersättlicher Zärtlichkeit im Bett. Sie hatte ihn
sehr geliebt. Wenn dieser Krieg erst einmal richtig angefangen hatte, würde es viele Frauen
in ihrer Lage geben. Sie goß sich einen weiteren Drink ein.
Mr. Faber war so ruhig –
das war das Problem. Er schien keine Laster zu haben. Er rauchte nicht, er roch nie nach
Alkohol, und er verbrachte fast jeden Abend in seinem Zimmer und hörte im Radio klassische
Musik. Außerdem las er viele Zeitungen und machte lange Spaziergänge. Sie vermutete, daß er
trotz seiner niederen Stellung sehr klug war. Seine Beiträge zum abendlichen Gespräch im
Eßzimmer waren immer etwas durchdachter als die der anderen. Sicher könnte er eine bessere
Stelle bekommen, wenn er es versuchte. Doch offenbar interessierte ihn das nicht.
Das
gleiche galt für sein Aussehen. Er hatte eine gute Figur, war hochgewachsen, mit recht
muskulösem Nacken und breiten Schultern, ohne ein Gramm Fett. Er hatte lange Beine, ein
kräftiges Gesicht mit hoher Stirn, nicht zu kurzem Kinn und hellblauen Augen; es war nicht
hübsch wie das eines Filmstars, doch ein Gesicht, das einer Frau gefällt. Sein Mund
allerdings war klein und dünnlippig. Sie stellte sich vor, daß er grausam sein
konnte. Mr. Garden war zu jeder Grausamkeit unfähig gewesen.
Trotzdem gehörte
Mr. Faber auf den ersten Blick nicht zu den Männern, nach denen eine Frau sich umdrehen
würde. Die Hose seines alten, abgetragenen Anzugs war immer ungebügelt – sie hätte das
mit Freuden für ihn getan, doch er bat sie nie darum –, und er trug immer einen schäbigen
Regenmantel und eine flache Schauermannsmütze. Er hatte keinen Schnurrbart. Sein Haar ließ
er alle zwei Wochen kurz schneiden. Es war, als wolle er nach nichts aussehen.
Er
brauchte eine Frau, darüber gab es keinen Zweifel. Siefragte sich einen
Moment lang, ob er das war, was man als »weibisch« bezeichnete, verwarf den Gedanken jedoch
sofort. Er brauchte eine Frau, die ihn herausputzte und seinen Ehrgeiz weckte. Sie brauchte
einen Mann, der ihr Gesellschaft leistete und – sie liebte.
Aber er machte nicht den
geringsten Annäherungsversuch. Manchmal hätte sie vor Enttäuschung schreien können. Dabei
war sie sich sicher, daß sie attraktiv aussah. Während sie sich einen weiteren Gin
einschenkte, schaute sie in den Spiegel. Sie hatte ein nettes Gesicht, blondes lockiges Haar
und genug, an dem sich ein Mann festhalten konnte . . . Sie kicherte. Wahrscheinlich war sie
beschwipst.
Sie nippte an ihrem Drink und überlegte, ob sie den ersten Schritt
machen sollte. Mr. Faber war offensichtlich schüchtern – chronisch schüchtern. Das andere
Geschlecht war ihm nicht gleichgültig – das hatte sie bei zwei Gelegenheiten an seinen
Augen ablesen können, als er sie im Nachthemd gesehen hatte. Sollte sie ihm gegenüber
vielleicht keß auftreten? Was hatte sie schon zu verlieren? Sie versuchte, sich das
Schlimmste vorzustellen. Angenommen, er würde sie zurückweisen. Nun, es wäre peinlich –
sogar demütigend, aber niemand brauchte etwas davon zu erfahren. Er würde eben ausziehen
müssen.
Der
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