Die Nadel.
Schließlich kam er zum
Sandstrand und schlenderte über die zwei Meilen lange Promenade. An deren Ende lagen in
der Flußmündung des Don zwei Yachten vertäut. Sie wären an sich für Faber in Betracht
gekommen, aber sie hatten kein Benzin.
Eine dichte Wolkenbank verhüllte die
aufgehende Sonne. Die Luft war schon wieder schwül und gewittrig. Ein paar unentwegte
Urlauber tauchten aus den Hotels an der Seeseite auf und setzten sich trotzig an den
Strand, in der Hoffnung auf Sonnenschein. Faber bezweifelte, daß sie heute Erfolg haben
würden.
Vielleicht war es am besten, sich am Strand zu verstecken. Die Polizei
würde den Bahnhof und den Busbahnhof überprüfen, allenfalls noch ein paar Hotels und
Pensionen. Eine Großfahndungwürden sie in der Stadt kaum
auslösen. Es war unwahrscheinlich, daß sie jeden am Strand kontrollieren konnten. Er
beschloß, den Tag in einem Liegestuhl zu verbringen.
Faber kaufte sich eine Zeitung
an einem Kiosk und mietete sich einen Liegestuhl. Er zog sein Hemd aus und streifte es dann
wieder über die Latzhose. Seine Jacke zog er nicht wieder an.
Wenn ein Polizist
kam, würde Faber ihn schon lange sehen, bevor er ihn erreicht hätte. Er würde genug Zeit
haben, den Strand zu verlassen und in den Straßen unterzutauchen. Er schlug die Zeitung
auf, die er sich gekauft hatte, und begann zu lesen. Man jubelte über eine neue alliierte
Offensive in Italien. Faber war skeptisch. Anzio war ein wüstes Durcheinander gewesen. Die
Zeitung war schlecht gedruckt und hatte keine Bilder. Er las, daß die Polizei einen
gewissen Henry Faber suchte, der in London zwei Menschen mit einem Stilett umgebracht hatte
. . .
Eine Frau in einem Badeanzug schlenderte vorbei und musterte ihn
genau. Fabers Herz setzte für eine Sekunde aus. Dann wurde ihm klar, daß sie mit ihm
flirten wollte. Einen Augenblick lang war er versucht, sie anzusprechen. Es war schon so
lange her . . . Er rief sich innerlich zur Ordnung. Nur Geduld! Morgen würde er zu Hause
sein.
Es war ein kleines Fischerboot, fünfzig oder sechzig
Fuß lang, mit breitem Deck und einem Innenbordmotor. Die Antenne ließ auf ein starkes
Funkgerät schließen. Der größte Teil des Decks wurde von Luken eingenommen, die zu dem
kleinen Laderaum unten führten. Die Kabine lag achtern und war gerade groß genug, um zwei
stehenden Männern sowie den Armaturen und dem Ruder Platz zu bieten. Der Rumpf war aus
Holz, in Klinkerbauweise, und erst vor kurzem geteert und frisch gestrichen worden.
Zwei andere Boote im Hafen hätten auch für seine Zwecke getaugt, aber Faber hatte am
Kai gestanden und beobachtet, wie die Besatzungsmitglieder dieses Bootes es vertäuten und
auftankten, bevor sie sich nach Hause aufmachten.
Er wartete ein paar Minuten, bis sie verschwunden waren. Dann ging er um
das Hafenbecken herum und sprang in das Boot. Es hieß Marie II .
Das Ruder
war festgekettet. Er setzte sich auf den Boden der kleinen Kabine, so daß er nicht zu
sehen war, und brauchte zehn Minuten, das Schloß mit dem Dietrich zu öffnen. Es wurde
früh Nacht, da der Himmel immer noch bedeckt war.
Als Faber das Ruder gelöst
hatte, lichtete er den kleinen Anker, sprang zurück auf den Kai und machte die Taue
los. Dann kehrte er in die Kabine zurück und zog am Anlasser. Der Motor hustete kurz auf
und erstarb. Er versuchte es noch einmal. Jetzt sprang der Motor donnernd an. Vorsichtig
manövrierte er das Boot aus dem Liegeplatz hinaus.
Faber ließ die anderen Boote am
Kai hinter sich und fand die Hauptfahrrinne des Hafens, die durch Bojen markiert
war. Wahrscheinlich brauchten sich nur Schiffe mit viel größerem Tiefgang daran zu
halten, aber man konnte nicht vorsichtig genug sein.
Außerhalb des Hafens spürte
er eine steife Brise und hoffte, daß sie keinen Wetterumschlag anzeigte. Die See war
überraschend rauh, und das kleine Boot wurde von den Wellen ganz schön auf und nieder
geschaukelt. Faber gab Vollgas, blickte auf den Kompaß am Armaturenbrett und ging auf
Kurs. Er fand ein paar Seekarten in einem Schränkchen unter dem Ruder. Sie sahen alt und
wenig benutzt aus. Zweifellos kannte der Kapitän die örtlichen Gewässer so gut, daß er
keine Karten brauchte. Faber überprüfte die Koordinaten, die er sich in jener Nacht in
Stockwell eingeprägt hatte, korrigierte den Kurs und stellte das Ruder fest.
Das
Wasser spritzte gegen die Kabinenfenster, so daß
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