Die Nadel.
noch auf die Frage gerichtet, wie er das Ruder festhalten konnte. Er
hätte sich daran festbinden sollen, aber nun war es zu spät, sich noch ein Stück Tau zu
suchen. Er verlor jegliches Gefühl für oben und unten, weil das Boot auf Wellen, die so
hoch wie Felsen waren, rollte und schlingerte. Sturmwinde und gewaltige Wassermengen
versuchten mit vereinter Kraft, ihn loszureißen. Seine Füße glitten ständig auf dem
nassen Boden und den feuchten Wänden aus, und seine Armmuskeln brannten vor Schmerz. Er
holte Luft ein, wenn sich sein Kopf gerade über Wasser befand, hielt aber sonst den Atem
an. Viele Male war er nahe daran, ohnmächtig zu werden. Fast unbewußt nahm er wahr, daß
das flache Kabinendach verschwunden war.
Er konnte kurze Blicke auf das Meer
erhaschen, wenn Blitze aufzuckten. Es war wie in einem Alptraum. Immer wieder überraschten
ihn die Wellen: Sie waren vor ihm, hinter ihm, bäumten sich neben ihm auf oder waren
überhaupt nicht zu sehen. Entsetzt stellte er fest, daß er seine Hände nicht mehr
spürte; er blickte nach unten und sah, daß sie wie totenstarr um das Ruder geklammert
waren. In seinen Ohren tönte ein ständiges Brüllen, und der Wind war vom Donner und dem
Rauschen des Meeres nicht zu unterscheiden.
Langsam verlor er die Fähigkeit, klar
zu denken. In so etwas wie einem Tagtraum – es war nicht wirklich eine Sinnestäuschung
– sah er die junge Frau, die ihn am Strand angestarrt hatte. Sie schritt unentwegt über
das sich aufbäumende Deck des Bootes, wobei der Badeanzug ihr am Körper klebte. Sie kam
immer näher, erreichte ihn aber nie. Er wußte, daß er seine klamme Hand vom Ruder nehmen
und nach ihr ausstrecken würde, wenn sie nur nahe genug herankäme, aber er sagte
ununterbrochen: »Noch nicht, noch nicht«, während sie auf ihn zuging, lächelte und sich
in den Hüften wiegte. Er war versucht, das Ruder loszulassen und auf sie zuzugehen. Doch
er widerstand der Versuchung, weil ihm irgend etwas im Unterbewußtseinzuflüsterte, daß er sie auf diese Weise nie erreichen würde. Also wartete
er ab, sah sie an und lächelte ihr seinerseits hie und da zu. Selbst wenn er die Augen
schloß, sah er sie immer noch.
Zwischenzeitlich wurde er immer wieder
ohnmächtig. Dabei entschwanden zunächst das Meer und das Boot, dann das Mädchen, bis er
zusammenzuckte und im Aufwachen feststellte, daß er unglaublicherweise immer noch dastand,
noch immer das Ruder in der Hand hielt und am Leben war. Dann bot er seine ganze
Willenskraft auf, um bei Bewußtsein zu bleiben. Doch letztendlich gewann die Erschöpfung
wieder die Oberhand.
In einem seiner letzten bewußten Momente merkte er, daß die
Wellen sich in eine Richtung bewegten und das Boot mit sich trugen. Wieder zuckte ein
Blitz, und er sah neben sich eine riesige dunkle Masse, eine unglaublich hohe Welle –
nein, es war keine Welle, es war eine Klippe . . . Die Erkenntnis, daß er nahe an Land
war, wurde von der Angst überdeckt, gegen die Felsen geworfen und zerschmettert zu
werden. Aus Verzweiflung versuchte er, den Motor anzulassen, griff dann sofort wieder nach
dem Ruder, aber seine Hand versagte ihm den Dienst.
Eine neue Welle hob das Boot und
schleuderte es wie ein weggeworfenes Spielzeug in die Tiefe. Als er durch die Luft wirbelte
und dabei noch immer das Ruder mit einer Hand fest umklammert hielt, sah Faber einen
spitzen Felsen, der wie ein Stilett aus dem Wellental hervorragte. Es schien, daß er das
kleine Boot durchbohren würde, doch im letzten Moment schrammte es an dem Felsen vorbei
und wurde weitergetragen. Die riesigen Wellen brachen sich jetzt. Der nächsten konnten die
Spanten nicht mehr standhalten. Das Boot prallte wuchtig auf das Wellental, und das
Geräusch des splitternden Rumpfes peitschte wie eine Explosion durch die Nacht.
Das
Wasser wich zurück, und Faber merkte, daß der Rumpf zersplittert war, weil die Wellen das
Boot an Land geschleudert hatten. Mit ungläubigem Staunen starrte er auf den Strand, der
vom Aufzucken eines neuen Blitzstrahls aus dem Dunkel gerissen wurde. Das Meer hob das
zertrümmerte Boot wieder vomSand empor; wieder donnerte Wasser über
das Deck und warf Faber zu Boden. Aber in dem einen Moment hatte er alles mit äußerster
Klarheit erkennen können. Der Strand war schmal, und die Wellen brachen sich bis zu den
Klippen hinauf. Doch zu seiner Rechten gab es eine Anlegestelle, die
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