Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Nadel.

Titel: Die Nadel. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follettl
Vom Netzwerk:
noch auf die Frage gerichtet, wie er das Ruder festhalten konnte. Er
     hätte sich daran festbinden sollen, aber nun war es zu spät, sich noch ein Stück Tau zu
     suchen. Er verlor jegliches Gefühl für oben und unten, weil das Boot auf Wellen, die so
     hoch wie Felsen waren, rollte und schlingerte. Sturmwinde und gewaltige Wassermengen
     versuchten mit vereinter Kraft, ihn loszureißen. Seine Füße glitten ständig auf dem
     nassen Boden und den feuchten Wänden aus, und seine Armmuskeln brannten vor Schmerz. Er
     holte Luft ein, wenn sich sein Kopf gerade über Wasser befand, hielt aber sonst den Atem
     an. Viele Male war er nahe daran, ohnmächtig zu werden. Fast unbewußt nahm er wahr, daß
     das flache Kabinendach verschwunden war.
    Er konnte kurze Blicke auf das Meer
     erhaschen, wenn Blitze aufzuckten. Es war wie in einem Alptraum. Immer wieder überraschten
     ihn die Wellen: Sie waren vor ihm, hinter ihm, bäumten sich neben ihm auf oder waren
     überhaupt nicht zu sehen. Entsetzt stellte er fest, daß er seine Hände nicht mehr
     spürte; er blickte nach unten und sah, daß sie wie totenstarr um das Ruder geklammert
     waren. In seinen Ohren tönte ein ständiges Brüllen, und der Wind war vom Donner und dem
     Rauschen des Meeres nicht zu unterscheiden.
    Langsam verlor er die Fähigkeit, klar
     zu denken. In so etwas wie einem Tagtraum – es war nicht wirklich eine Sinnestäuschung
     – sah er die junge Frau, die ihn am Strand angestarrt hatte. Sie schritt unentwegt über
     das sich aufbäumende Deck des Bootes, wobei der Badeanzug ihr am Körper klebte. Sie kam
     immer näher, erreichte ihn aber nie. Er wußte, daß er seine klamme Hand vom Ruder nehmen
     und nach ihr ausstrecken würde, wenn sie nur nahe genug herankäme, aber er sagte
     ununterbrochen: »Noch nicht, noch nicht«, während sie auf ihn zuging, lächelte und sich
     in den Hüften wiegte. Er war versucht, das Ruder loszulassen und auf sie zuzugehen. Doch
     er widerstand der Versuchung, weil ihm irgend etwas im Unterbewußtseinzuflüsterte, daß er sie auf diese Weise nie erreichen würde. Also wartete
     er ab, sah sie an und lächelte ihr seinerseits hie und da zu. Selbst wenn er die Augen
     schloß, sah er sie immer noch.
    Zwischenzeitlich wurde er immer wieder
     ohnmächtig. Dabei entschwanden zunächst das Meer und das Boot, dann das Mädchen, bis er
     zusammenzuckte und im Aufwachen feststellte, daß er unglaublicherweise immer noch dastand,
     noch immer das Ruder in der Hand hielt und am Leben war. Dann bot er seine ganze
     Willenskraft auf, um bei Bewußtsein zu bleiben. Doch letztendlich gewann die Erschöpfung
     wieder die Oberhand.
    In einem seiner letzten bewußten Momente merkte er, daß die
     Wellen sich in eine Richtung bewegten und das Boot mit sich trugen. Wieder zuckte ein
     Blitz, und er sah neben sich eine riesige dunkle Masse, eine unglaublich hohe Welle –
     nein, es war keine Welle, es war eine Klippe . . . Die Erkenntnis, daß er nahe an Land
     war, wurde von der Angst überdeckt, gegen die Felsen geworfen und zerschmettert zu
     werden. Aus Verzweiflung versuchte er, den Motor anzulassen, griff dann sofort wieder nach
     dem Ruder, aber seine Hand versagte ihm den Dienst.
    Eine neue Welle hob das Boot und
     schleuderte es wie ein weggeworfenes Spielzeug in die Tiefe. Als er durch die Luft wirbelte
     und dabei noch immer das Ruder mit einer Hand fest umklammert hielt, sah Faber einen
     spitzen Felsen, der wie ein Stilett aus dem Wellental hervorragte. Es schien, daß er das
     kleine Boot durchbohren würde, doch im letzten Moment schrammte es an dem Felsen vorbei
     und wurde weitergetragen. Die riesigen Wellen brachen sich jetzt. Der nächsten konnten die
     Spanten nicht mehr standhalten. Das Boot prallte wuchtig auf das Wellental, und das
     Geräusch des splitternden Rumpfes peitschte wie eine Explosion durch die Nacht.
    Das
     Wasser wich zurück, und Faber merkte, daß der Rumpf zersplittert war, weil die Wellen das
     Boot an Land geschleudert hatten. Mit ungläubigem Staunen starrte er auf den Strand, der
     vom Aufzucken eines neuen Blitzstrahls aus dem Dunkel gerissen wurde. Das Meer hob das
     zertrümmerte Boot wieder vomSand empor; wieder donnerte Wasser über
     das Deck und warf Faber zu Boden. Aber in dem einen Moment hatte er alles mit äußerster
     Klarheit erkennen können. Der Strand war schmal, und die Wellen brachen sich bis zu den
     Klippen hinauf. Doch zu seiner Rechten gab es eine Anlegestelle, die

Weitere Kostenlose Bücher