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Die Nadel.

Titel: Die Nadel. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follettl
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einander an und verglichen die Gesichter mit dem auf
     dem Bild. An der Sperre hielt ihn der Kontrolleur an der Schulter fest und fragte: »Sind
     sie nicht der Mann auf dem Bild?« Faber versagte die Stimme. Er konnte nur das Photo
     anstarren und sich daran erinnern, wie er gerannt war, um den Pokal zu gewinnen. Mein Gott,
     wie hatte er sich ins Zeug gelegt; er war ein wenig zu früh angetreten, hatte schon
     fünfhundert Meter vor dem Ziel zum Endspurt angesetzt, und auf den letzten Metern glaubte
     er zu sterben – und jetzt würde er vielleicht sterben, nur weil der Kontrolleur das
     Photo in der Hand hatte . . . Der Kontrolleur sagte: »Aufwachen! Aufwachen!« und
     plötzlich war Faber wieder in Richard Porters Vauxhall Ten, und es war Porter, der ihn
     weckte.
    In dem Sekundenbruchteil, bevor ihm einfiel, daß Porter ihn für James
     Baker, einen harmlosen Anhalter, hielt, war seine rechte Hand schon halb zu seinem linken
     Ärmel geglitten, wo das Stilett in der Scheide steckte. Er ließ die Hand fallen und
     entspannte sich.
    »Sie wachen auf wie ein Soldat«, meinte Porter belustigt. »Wir
     sind in Aberdeen.«
    Faber fiel der nördliche Akzent auf, und er erinnerte sich
     daran, daß der Mann Richter und damit Angehöriger des Polizeiapparats war. Er betrachtete
     den Mann im trüben Licht des anbrechendenTages: Porter hatte ein rotes
     Gesicht und einen gewachsten Schnurrbart; sein kamelfarbener Mantel sah teuer aus. Er
     mußte wohlhabend und einflußreich sein. Wenn er verschwand, würde man ihn fast sofort
     vermissen. Faber beschloß, ihn nicht zu töten.
    »Guten Morgen«, sagte er.
    Er schaute aus dem Fenster auf die graue Stadt. Sie fuhren langsam die
     Hauptgeschäftsstraße entlang.
    Einige Frühaufsteher waren zu sehen, die sich alle
     zielstrebig in dieselbe Richtung bewegten: Fischer, dachte Faber. Die Stadt schien kalt und
     windig.
    Porter sagte: »Möchten Sie sich rasieren und frühstücken, bevor Sie
     weiterreisen? Mein Haus steht Ihnen zur Verfügung.«
    »Das ist sehr freundlich von
     Ihnen – «
    »Wieso? Wenn Sie nicht gewesen wären, würde ich immer noch bei
     Stirling auf der A80 stehen und warten, bis eine Werkstatt aufmacht.«
    »– aber
     nicht nötig, danke. Ich möchte so schnell wie möglich weiter.«
    Porter bedrängte
     ihn nicht weiter. Vermutlich war er erleichtert darüber, daß sein Angebot ausgeschlagen
     worden war. »Dann werde ich Sie an der George Street absetzen – dort beginnt die
     A96. Sie führt direkt nach Banff.« Kurz darauf hielt er den Wagen an einer Ecke an. »Da
     wären wir.«
    Faber öffnete die Tür. »Danke fürs Mitnehmen.«
    »Nichts zu
     danken.« Porter hielt ihm die Hand hin. »Viel Glück!«
    Faber stieg aus, schloß
     die Tür, und der Wagen fuhr los. Er hatte von Porter nichts zu befürchten. Der Mann
     würde nach Hause fahren und den ganzen Tag schlafen. Wenn er merkte, daß er jemandem
     geholfen hatte, der auf der Flucht vor der Polizei war, würde es schon zu spät sein.
    Er wartete, bis der Vauxhall außer Sichtweite war, überquerte dann die Fahrbahn und
     betrat eine Straße mit dem vielversprechenden Namen Market Street. Kurz darauf befand er
     sich in denDocks, und folgte von da aus seiner Nase zum Fischmarkt. Er
     fühlte sich sicher in der Anonymität des geschäftigen, lauten, übelriechenden Marktes,
     wo alle so wie er Arbeitskleidung trugen. Frischer Fisch und aufmunternde Flüche flogen
     durch die Luft. Faber hatte Mühe, den abgehackten, kehligen Akzent der Leute zu
     verstehen. An einer Bude kaufte er heißen, starken Tee in einem angestoßenen Henkelbecher
     und ein großes Brötchen mit einem Brocken weißen Käse.
    Er setzte sich auf ein
     Faß, aß und dachte über seine Lage nach. Heute abend war der richtige Zeitpunkt, um ein
     Boot zu stehlen. Es war ärgerlich, den ganzen Tag warten und sich für die nächsten
     zwölf Stunden verstecken zu müssen. Aber er konnte jetzt kein Risiko mehr eingehen, und
     am hellichten Tag ein Boot zu stehlen war viel gefährlicher als im Zwielicht der
     Abenddämmerung.
    Faber beendete sein Frühstück und stand auf. Es würde noch zwei
     Stunden dauern, bis der Rest der Stadt sich zu regen begann. Er konnte die Zeit nutzen, um
     sich ein gutes Versteck zu suchen.
    Er machte einen Rundgang durch die Docks und den
     Fluthafen. Die Sicherheitsvorschriften wurden hier nur oberflächlich befolgt; es gab
     mehrere Punkte, wo er an den Kontrollen vorbeischlüpfen konnte.

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