Die Nadel.
einander an und verglichen die Gesichter mit dem auf
dem Bild. An der Sperre hielt ihn der Kontrolleur an der Schulter fest und fragte: »Sind
sie nicht der Mann auf dem Bild?« Faber versagte die Stimme. Er konnte nur das Photo
anstarren und sich daran erinnern, wie er gerannt war, um den Pokal zu gewinnen. Mein Gott,
wie hatte er sich ins Zeug gelegt; er war ein wenig zu früh angetreten, hatte schon
fünfhundert Meter vor dem Ziel zum Endspurt angesetzt, und auf den letzten Metern glaubte
er zu sterben – und jetzt würde er vielleicht sterben, nur weil der Kontrolleur das
Photo in der Hand hatte . . . Der Kontrolleur sagte: »Aufwachen! Aufwachen!« und
plötzlich war Faber wieder in Richard Porters Vauxhall Ten, und es war Porter, der ihn
weckte.
In dem Sekundenbruchteil, bevor ihm einfiel, daß Porter ihn für James
Baker, einen harmlosen Anhalter, hielt, war seine rechte Hand schon halb zu seinem linken
Ärmel geglitten, wo das Stilett in der Scheide steckte. Er ließ die Hand fallen und
entspannte sich.
»Sie wachen auf wie ein Soldat«, meinte Porter belustigt. »Wir
sind in Aberdeen.«
Faber fiel der nördliche Akzent auf, und er erinnerte sich
daran, daß der Mann Richter und damit Angehöriger des Polizeiapparats war. Er betrachtete
den Mann im trüben Licht des anbrechendenTages: Porter hatte ein rotes
Gesicht und einen gewachsten Schnurrbart; sein kamelfarbener Mantel sah teuer aus. Er
mußte wohlhabend und einflußreich sein. Wenn er verschwand, würde man ihn fast sofort
vermissen. Faber beschloß, ihn nicht zu töten.
»Guten Morgen«, sagte er.
Er schaute aus dem Fenster auf die graue Stadt. Sie fuhren langsam die
Hauptgeschäftsstraße entlang.
Einige Frühaufsteher waren zu sehen, die sich alle
zielstrebig in dieselbe Richtung bewegten: Fischer, dachte Faber. Die Stadt schien kalt und
windig.
Porter sagte: »Möchten Sie sich rasieren und frühstücken, bevor Sie
weiterreisen? Mein Haus steht Ihnen zur Verfügung.«
»Das ist sehr freundlich von
Ihnen – «
»Wieso? Wenn Sie nicht gewesen wären, würde ich immer noch bei
Stirling auf der A80 stehen und warten, bis eine Werkstatt aufmacht.«
»– aber
nicht nötig, danke. Ich möchte so schnell wie möglich weiter.«
Porter bedrängte
ihn nicht weiter. Vermutlich war er erleichtert darüber, daß sein Angebot ausgeschlagen
worden war. »Dann werde ich Sie an der George Street absetzen – dort beginnt die
A96. Sie führt direkt nach Banff.« Kurz darauf hielt er den Wagen an einer Ecke an. »Da
wären wir.«
Faber öffnete die Tür. »Danke fürs Mitnehmen.«
»Nichts zu
danken.« Porter hielt ihm die Hand hin. »Viel Glück!«
Faber stieg aus, schloß
die Tür, und der Wagen fuhr los. Er hatte von Porter nichts zu befürchten. Der Mann
würde nach Hause fahren und den ganzen Tag schlafen. Wenn er merkte, daß er jemandem
geholfen hatte, der auf der Flucht vor der Polizei war, würde es schon zu spät sein.
Er wartete, bis der Vauxhall außer Sichtweite war, überquerte dann die Fahrbahn und
betrat eine Straße mit dem vielversprechenden Namen Market Street. Kurz darauf befand er
sich in denDocks, und folgte von da aus seiner Nase zum Fischmarkt. Er
fühlte sich sicher in der Anonymität des geschäftigen, lauten, übelriechenden Marktes,
wo alle so wie er Arbeitskleidung trugen. Frischer Fisch und aufmunternde Flüche flogen
durch die Luft. Faber hatte Mühe, den abgehackten, kehligen Akzent der Leute zu
verstehen. An einer Bude kaufte er heißen, starken Tee in einem angestoßenen Henkelbecher
und ein großes Brötchen mit einem Brocken weißen Käse.
Er setzte sich auf ein
Faß, aß und dachte über seine Lage nach. Heute abend war der richtige Zeitpunkt, um ein
Boot zu stehlen. Es war ärgerlich, den ganzen Tag warten und sich für die nächsten
zwölf Stunden verstecken zu müssen. Aber er konnte jetzt kein Risiko mehr eingehen, und
am hellichten Tag ein Boot zu stehlen war viel gefährlicher als im Zwielicht der
Abenddämmerung.
Faber beendete sein Frühstück und stand auf. Es würde noch zwei
Stunden dauern, bis der Rest der Stadt sich zu regen begann. Er konnte die Zeit nutzen, um
sich ein gutes Versteck zu suchen.
Er machte einen Rundgang durch die Docks und den
Fluthafen. Die Sicherheitsvorschriften wurden hier nur oberflächlich befolgt; es gab
mehrere Punkte, wo er an den Kontrollen vorbeischlüpfen konnte.
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