Die nächste Begegnung
identitätsbestimmenden Charakteristika werden in Molekülen gespeichert, sogenannten Genen. Und es gibt praktisch Milliarden verschiedene Möglichkeiten für die Gene eines Elternpaares, sich in einem Kind auszuprägen. Deswegen sind Kinder von denselben Eltern nicht miteinander identisch.«
Katie runzelte die Stirn. Sie hatte mit einer anderen Antwort gerechnet. Und Nicole begriff sofort. »Außerdem«, fügte sie sachlich-tröstend hinzu, »ist dein Körperbau wirklich ganz und gar nicht jungenhaft. Ein besserer Ausdruck wäre athletisch.«
»Jedenfalls aber«, erwiderte Katie und wies auf ihre Schwester, die in einer anderen Ecke des gemeinsamen Wohnzimmers tief in ihre Studien versunken schien, »sehe ich gar nicht aus wie Ellie. Die hat einen wirklich reizenden Körper — und ihre Brüste sind sogar größer und runder als deine ! «
Nicole lachte natürlich. »Klar, Ellie hat eine beeindruckende Figur. Aber deine ist genauso p ri ma — nur eben einfach anders.« Nicole wandte sich wieder ihrem Text zu. Sie dachte, damit sei das Gespräch erledigt.
Nach einem kurzen Schweigen jedoch hakte Katie nach: »Aber in diesen alten Modezeitschriften gibt es nicht viele Frauen mit so 'ner Figur, wie ich sie habe!« Sie hielt ihr elektronisches Notizbuch hoch, aber Nicole hörte ihr nicht mehr zu. »Weißt du, Mutter, ich glaube, dem Adler ist irgendwie bei der Kontrolleinrichtung an meiner Schlafkoje ein Fehler unterlaufen. Ich glaub, ich hab einen Teil von den Hormonen abgekriegt, die für Patrick und Benjy bestimmt waren.«
»Katie, Liebes!« Nicole begriff endlich, dass ihre Tochter sich wirklich ernste Sorgen wegen ihrer Gestalt machte. »Es ist praktisch gewiss, dass du zu der Person geworden bist, als die du durch deine Gene bei der Ei-Samenverschmelzung programmiert bist. Du bist eine bezaubernde, liebenswerte junge Frau. Und du würdest wahrscheinlich glücklicher mit dir selber sein, wenn du mehr über deine zahlreichen hervorragenden Eigenschaften nachdächtest, anstatt irgendwelche Mäkel an dir zu suchen und dir zu wünschen, jemand anderer zu sein.«
Seit der Erweckung waren zahlreiche Mutter-Tochtergespräche nach dem gleichen Muster verlaufen. Katie hatte das Gefühl, ihre Mutter versuche gar nicht, sie zu verstehen, und sei immer allzu r as ch mit einer Lektion und/oder einem Epigramm zur Hand. »Es gibt im Leben Wichtigeres, als dass man sich wohlfühlt«, klang Katie als ständiger Refrain in den Ohren. Ganz im Gegenteil schien das Lob, das Mutter für Ellie aufbrachte, Katie durchaus übertrieben. »Ellie ist eine so gute Schülerin, obwohl sie doch so spät angefangen hat ...« — »Ellie ist immer hilfsbereit, und man muss sie erst gar nicht darum bitten .. « — »Wieso bringst du nicht ein bisschen mehr Geduld mit Benjy auf — so wie Ellie?«
Zuerst war's Simone, jetzt ist es Ellie, knurrte Katie in sich hinein, als sie einmal spät in der Nacht nackend in ihrem Bett lag, nachdem sie sich mit ihrer Schwester gezankt — und die Mutter ihr allein die Schuld gegeben hatte. Ich hab bei Mutter nie eine Chance gehabt. Wir sind ganz einfach zu verschieden. Ich kann es also genauso gut auch lassen, mich anzustrengen.
Ihre Finger glitten über ihren Körper, lockten ihr Verlangen hervor, und Katie seufzte in erwartungsvoller Vorwegnahme. Wenigstens gibt's ein paar Sachen, für die ich Mutter nicht nötig habe!
»Richard«, sagte Nicole nachts im Bett, als sie nur noch sechs Wochen Flugzeit vom Mars entfernt waren.
»Mmmmm«, brummte er träge. Er hatte schon fast geschlafen.
»Ich mach mir Sorgen um Katie. Alle andren Kinder machen erfreuliche Fortschritte — besonders Benjy, der Himmel segne ihn! Aber bei Katie mach ich mir wirklich große Sorgen.«
»Und was ist es genau, was dich da stört?«, fragte Richard und stützte sich auf dem Ellbogen hoch.
»Ihre Einstellung vor allem. Katie ist unglaublich egozentrisch, ich meine, ich-bezogen. Und sie hat außerdem ein aufbrausendes Temperament und keine Spur von Geduld mit ihren Geschwistern, nicht mal mit Patrick, der sie anbetet. Mit mir streitet sie die ganze Zeit nur, oft sogar über völlig unsinniges Zeug. Außerdem glaube ich, dass sie oft viel zu lang allein in ihrem Zimmer ist.«
»Ach, sie langweilt sich wahrscheinlich einfach«, entgegnete Richard. »Denk doch bitte dran, Nicole, dass sie körperlich eine junge Frau Anfang zwanzig ist. Sie müsste mit jungen Männern ausgehen, sich ihre Unabhängigkeit beweisen. Und es gibt hier
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