Die nächste Begegnung
sich auf die Bildvorstellung von dem gutaussehenden Arzt. Überrascht stellte sie fest, dass da ein Fünkchen von romantischem Interesse in ihr aufzuckte. Zweifellos, dem Arzt haftete etwas durchaus Geheimnisvolles an, denn nichts an ihm — weder in seinem Verhalten noch in der sichtbaren Persönlichkeit — passte irgendwie zu einem Doppelmord. Da steckt bestimmt eine heiße Liebesgeschichte dahinter, dachte Eponine.
Eponine träumte. Es war wieder derselbe bedrückende Albtraum, wie sie ihn hundertmal seit dem Mord geträumt hatte. Professor Moreau lag mit geschlossenen Augen auf dem Boden seines Arbeitszimmers, und aus seiner Brust floss Blut. Eponine trat an das Becken und säuberte das große Tranchiermesser. Dann legte sie es wieder auf den Tisch. Als sie über den Sterbenden wegstieg, klappten diese verhassten Augen auf, und sie sah den wilden Wahnsinn darin. Er griff mit den Armen nach ihr ...
»Schwester Henderson! Schwester Henderson!« Das Pochen an der Tür wurde lauter. Eponine wurde aus ihrem Traum gerissen und rieb sich die Augen. Kimberly und eine weitere Zimmergenossin waren fast gleichzeitig an der Tür.
Walters Freund Malcolm Peabody, ein schwächlicher, knabenhafter Weißer Anfang der vierzig, stand an der Tür. Er war völlig durcheinander. »Der Doc schickt mich, er braucht eine Assistenzschwester. Komm schnell! Walter hatte einen Herzanfall. «
Während Kimberly sich anzog, glitt Eponine von ihrer Pritsche. »Wie steht es mit ihm, Malcolm?«, fragte sie und zog sich ihren Dress über. »Er ist doch nicht etwa tot?«
Malcolm war momentan verwirrt. »Ach so, hallo, Eponine., sagte er bedrückt. »Ich hab vergessen, dass Schwester Henderson und du ... als ich weglief, atmete er noch, aber .. .
Achtsam, stets einen Fuß auf dem Boden zu haben, eilte Eponine durch die Kabinentür auf den Gang, in den zentralen Gemeinschaftsraum und von dorthinüber zu den Männerquartieren. Als die Hauptmonitoren sie auf ihrem Weg verfolgten, setzten Alarmklingeln ein. Am Zugang zu dem Trakt, in dem Walter lebte, hielt sie kurz inne, um Atem zu schöpfen.
Vor der Kabine drängte sich eine Gruppe von Leuten. Die Tür stand weit offen, und das untere Drittel von Walters Körper ragte in den Gang heraus. Eponine drängte sich durch die Leute in den Raum.
Dr. Turner kniete neben seinem Patienten und drückte ihm Elektrostimulatoren auf die nackte Brust. Bei jedem Stromstoß zuckte der mächtige Leib, hob sich etwas vom Boden, und der Arzt drückte ihn wieder flach nieder.
Als Eponine herantrat, hob Dr. Turner den Blick. »Bist du die Schwester?«, fragte er barsch.
Einen flüchtigen Moment lang blieb Eponine die Sprache weg. Und sie schämte sich. Da lag ihr Freund im Sterben oder war vielleicht schon tot, und sie konnte an nichts weiter denken als an diese fast unglaublich reinen blauen Augen des Doktors. Völlig durcheinander brachte sie schließlich heraus: »Ich bin seine Freundin ... Schwester Henderson wohnt mit mir in der Kabine .. sie müsste jeden Moment kommen ...«
Gerade dann kam Kimberly, von zwei ISA-Posten eskortiert, an. »Das Herz hat vor fünfundvierzig Sekunden völlig zu schlagen aufgehört«, sagte Dr. Turner zu Kimberly. »Zu spät, um ihn jetzt noch in den Sanitätstrakt zu bringen. Ich werde ihn aufmachen und es mit dem Komori-Stimulator versuchen. Hast du deine Handschuhe mit?«
Während Kimberly sich die sterilen Handschuhe überzog, verscheuchte Dr. Turner die Neugierigen aus der Nähe seines Patienten. Aber Eponine blieb beharrlich da. Als die Wachen sie an den Armen packten, murmelte der Arzt etwas, und man gab sie wieder frei.
Dr. Turner reichte Schwester Kimberly das Tablett mit den chirurgischen Instrumenten, dann schnitt er mit unglaublicher Geschwindigkeit geschickt eine tiefe Inzision in Walters Brustkorb, klappte die Schnittkanten auf und legte das Herz frei. »Hast du bei diesem Verfahren schon assistiert, Schwester Henderson?«, fragte er.
»Nein«, stammelte Kimberly.
»Der Komori-Stimulator ist ein elektrochemisch wirkendes Gerät, das ans Herz angeschlossen wird und es veranlasst, weiterzuschlagen und weiter Blut zu pumpen. Wenn die pathologische Ursache nur temporär ist, etwa ein Blutpfropfen oder eine spastische Herzklappe, dann lässt sich dadurch manchmal die Störung beheben, und das kranke Herz kann wieder normal funktionieren.«
Der Arzt führte den daumennagelgroßen Komori-Stimulator hinter dem linken Herzventrikel ein und schaltete den Strom ein, der
Weitere Kostenlose Bücher