Die nächste Begegnung
»Mister Diaba war vor mir hier«, sagte Eponine, »also ...«
»Nein, nein, Damen haben immer Vortritt«, unterbrach Amdou sie. »Auch in New Eden.«
Also trat Eponine ins Sprechzimmer. Als sie allein waren, sagte Dr. Turner: »Bisher sieht es nicht zu schlecht aus. Natürlich sitzt das Virus in deinem Körper, aber es gibt keinerlei Anzeichen von Herzmuskelatrophie. Ich weiß zwar bisher nicht genau, warum, aber der Krankheitsprozess verläuft unzweifelhaft bei einigen Patienten überstürzter als bei ande ren ...«
Und wie ist es möglich, mein schöner Arzt, dachte Eponine, dass du meinen Krankheitsverlauf so peinlich genau verfolgst, aber nie bemerkt hast, wie ich dich die ganze Zeit schon anhimmle?
»Wir werden die reguläre orthodoxe Immunsystem-Therapie fortsetzen. Es gibt dabei keine ernsthaften Nebenwirkungen, und das mag vielleicht teilweise auch der Grund sein, weshalb wir bisher noch nicht herausgefunden haben, wie dieses Virus solch eine zerstörerische Wirkung haben kann ... Und sonst, fühlst du dich in Ordnung?«
Zusammen gingen sie wieder ins Wartezimmer hinaus.
Dr. Turner besprach mit Eponine die Symptome, die möglicherweise den Hinweis bieten konnten, dass das Virus in ein neues, weiteres Stadium seiner Entwicklung getreten sei. Während sie noch miteinander sprachen, öffnete sich die Tür, und Ellie Wakefield kam herein. Anfangs ignorierte der Arzt sie, aber ein paar Sekunden später machte er einen ganz unübersehbaren Rückzieher.
»Kann ich dir helfen, junge Dame?«, sagte er zu Ellie.
»Ich bin eigentlich bloß gekommen, um Eponine was zu fragen«, antwortete Ellie voller Ehrerbietung. »Wenn ich störe ... ich kann ja draußen warten.«
Dr. Turner schüttelte den Kopf. Und danach waren seine abschließenden Äußerungen Eponine gegenüber erstaunlich verschwommen und unklar. Zunächst begriff Eponine nicht, was los war. Doch als sie dann mit Ellie dem Ausgang zuging, sah sie, wie der Arzt hinter ihrer Studentin herstarrte. Drei Jahre lang, dachte Eponine, sehne ich mich jetzt schon danach, diesen Ausdruck in seinen Augen zu sehen! Ich hab gedacht, es steckt gar nicht in ihm, er ist da völlig immun. Und Ellie, das arme Schäfchen, merkt es noch nicht einmal.. .
Es war ein langer Tag gewesen. Auf dem Weg vom Bahnhof zu ihrer Wohnung in Hakone fühlte Eponine sich zutiefst müde. Der Gefühlsaufschwung, den sie erfahren hatte, als sie ihre Schandbinde abstreifte, war verflogen, und sie fühlte sich nun etwas deprimiert. Außerdem hatte sie gegen ein Gefühl der Eifersucht gegenüber Ellie Wakefield anzukämpfen.
Sie blieb vor ihrer Wohnung stehen. Der breite rote Balkenstreifen warnte alle Leute davor, dass hinter dieser Tür ein RV41-Positiver hauste. Mit einem erneuten Seufzer der Dankbarkeit an die Person des Richters Myshkin zog Eponine den Streifen ab. Es blieb der Umriss auf der Tür zurück. Ich werde das morgen neu streichen, dachte Eponine.
Drinnen ließ sie sich in ihren bequemen Sessel fallen und griff nach einer Zigarette. Sie spürte einen Anflug vorweggenommener Lust, als sie sich die Zigarette zwischen die Lippen steckte. In der Schule und vor den Kindern rauche ich nie, sagte sie sich, rationale Entschuldigungen suchend. Ich gebe ihnen also kein schlechtes Beispiel. Ich rauche nur hier, daheim ... wenn ich mich einsam fühle.
Sie ging abends fast niemals aus. Die andren Bewohner des Village hatten ihr nur zu deutlich zu verstehen gegeben, dass >man< sie nicht >unter anständigen Leuten< haben wollte — zwei >Bürgerdelegationen< hatten sie aufgefordert, aus der Gemeinde wegzuziehen, und mehrmals hatte sie widerliche Schmierereien an ihrer Tür gefunden. Aber Eponine hatte sich hartnäckig geweigert, sich vertreiben zu lassen. Da Kimberly Henderson die gemeinsame Wohnung nie benutzte, blieb Eponine weit mehr Platz, als sie sich normalerweise hätte leisten können. Sie wusste, dass eine RV-41-Trägerin in keinem Teil der Kolonie willkommen sein würde.
Sie war im Sessel eingeschlafen und träumte von weiten Feldern voller gelber Blumen. Das Klopfen, obwohl es sehr laut war, hätte sie fast überhört. Sie warf einen Blick auf die Uhr — eine Stunde vor Mitternacht. Als sie die Tür aufschloss, stürzte Kimberly herein.
»Ach, Ep!., seufzte sie. »Ich bin ja so froh, dass du da bist. Ich muss ganz dringend mit jemand reden. Mit jemand, dem ich vertrauen kann.«
Kimberly zündete sich mit unsicheren Bewegungen eine Zigarette an und stürzte sich in einen
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