Die nächste Begegnung
RV-41 über diese Trägersubstanzen nicht übertragen werden kann.«
Auf der Galerie war die Unruhe nun sehr lautstark geworden. Gouverneur Watanabe musste mehrmals sein Hämmerchen knallen lassen, ehe im Saal wieder Ruhe eintrat. Dr. Turner räusperte sich und sprach weiter. »Dieses spezielle R-Virus ist ausgesprochen schlau, wenn ich das mal so nennen darf, und an seinen menschlichen Wirtsorganismus ungewöhnlich gut angepasst. Wie aus dem Diagramm ersichtlich, ist das Virus in seinen zwei Anfangsstadien relativ harmlos und unschädlich und sitzt einfach nur wartend in den Blut- und den Samenzellen. Möglicherweise hat das Virus da bereits seinen Angriff auf das menschliche Immunsystem begonnen. Aber das können wir nicht mit Bestimmtheit sagen, da während dieser Latenzperiode alle unsere diagnostischen Werte auf ein intaktes Autoimmunsystem schließen lassen.
Wir wissen nicht, was die Schwächung und den Zusammenbruch des Immunsystems auslöst. Irgendein unerklärlicher Prozess in unserem Körper — und hier wäre dringend weit intensivere Forschungsarbeit nötig — signalisiert urplötzlich dem RV-41, dass dieses spezifische Immunsystem verletzlich geworden ist, und das Virus setzt zu einem Massenangriff an. Plötzlich erhöht sich die Virusdichte in Blut oder Samenflüssigkeit um ein Mehrfaches. Und in diesem Stadium ist die Ansteckungsgefahr am größten und dann erneut, wenn das Immunsystem gelähmt ist.«
Dr. Turner machte eine Pause und schob sich den Text zurecht, aus dem er vorlas. Dann sprach er weiter: »Merkwürdig ist nur, dass das menschliche Immunsystem diese Attacke niemals unbeschadet übersteht. Auf irgendeine Weise weiß dieses RV-41, wann es siegen kann, und es vermehrt sich nur dann, wenn ein gewisser Zustand der Anfälligkeit im Körper erreicht ist. Und sobald das körpereigene Abwehrsystem zerstört ist, setzt in der Herzmuskulatur die Atrophie ein, und der Tod folgt unweigerlich.
In den Spätphasen der RV-41-Erkrankung verschwindet das Retrovirus vollkommen aus dem Sperma und dem Blut. Wie ihr euch sicherlich denken könnt, bringt diese Absenz oder Latenz unsere Diagnoseprozesse völlig durcheinander. Wo bleibt der Erreger? »Versteckt< er sich irgendwie irgendwo und wandelt sich zu etwas um, das wir bisher noch nicht erkannt haben? Wird die graduelle Zerstörung der Herzmuskulatur von ihm gesteuert, oder ist die Atrophie eine bloße Nebenwirkung des ursprünglichen Angriffs gegen das Immunsystem? Vorläufig haben wir darauf noch keine Antwort.«
Dr. Turner unterbrach sich und trank einen Schluck Wasser. »Ein Teil unsres Budgets für das verflossene Jahr«, fuhr er fort, »floss in die Erforschung der Genese dieses Leidens. Es hat hier Gerüchte gegeben, dass RV-41 irgendwie angeblich eine ortsspezifische Krankheit für New Eden sei, ja sogar, dass sie uns irgendwie als eine Art teuflisches Experiment der Außerirdischen aufgeladen wurde. Das alles ist völliger Quatsch. Es steht absolut zweifelsfrei fest, dass wir das Virus von der Erde hierher mitgebracht haben! Zwei der Passagiere der Santa Maria sind am RV-41-Syndrom gestorben, und zwar drei Monate nacheinander, der erste während des Fluges von der Erde zum Mars. Wir können jedoch mit Sicherheit sagen — auch wenn das kaum ein Trost ist —, dass unsere Kollegen daheim auf der Erde derzeit ebenfalls mit diesem bösartigen Ding zu tun haben.
Was die Genese, die Ursprünge und Entstehung des RV-41 angeht, so kann ich da nur Vermutungen äußern. Wäre das Datenmaterial, das man uns von der Erde mitgegeben hat, um eine Größenordnung reicher gewesen, dann wäre es mir vielleicht möglich, die Ursachen genauer und ohne Herumrätselei zu erschlüsseln ... Trotzdem kann ich darauf hinweisen, dass dieses Genom unseres RV-41-Erregers eine erstaunliche Verwandtschaft aufweist zu einem von Menschen ursprünglich genetisch entwickelten Pathogen, das Bestandteil der umfassenden Schutzimpfungstests in den frühen Jahren des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts gewesen ist.
Lasst mich das bitte genauer erklären. Nachdem man erfolgreich eine Schutzimpfung gegen das Virus entwickelt hatte, das AIDS auslöste, also das Auto-Immun-Deffizienz-Syndrom, das während der letzten beiden Dekaden des zwanzigsten Jahrhunderts eine wahre Menschheitsgeißel war, machte sich die medizinische Wissenschaft die Biotechnik zunutze und weitete die Wirkungsbereiche sämtlicher verfügbarer Impfstoffe aus. Um es exakt zu bezeichnen: Die Biologen und Mediziner
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