Die nächste Begegnung
ausgeführt waren. Der Eindruck war von überwältigender Schönheit.
In der Mitte der >Kathedrale< befand sich ein Podium und darauf eine aufrecht stehende Myrmikatze (oder ein -kater?) und hielt eine Ansprache. Ein Dutzend Zuhörer hockte auf den vier hinteren Gliedmaßen und starrte mit gebannter Aufmerksamkeit zu dem Sprechenden hinauf.
Während Richard umherging, erkannte er, dass der Wandschmuck in achtzig Zentimeter Höhe über dem Boden in einem meterbreiten Band offenbar eine zusammenhängende Geschichte darstellte. Er schritt langsam an diesem Band entlang, bis er den Anfang der Geschichte erreicht zu haben glaubte. Das erste Bild konnte man als >Porträt einer Mannamelone< bezeichnen. Auf den folgenden drei Paneelen wuchs etwas im Meloneninneren; winzig noch in der zweiten Darstellung, doch im vierten Rahmen füllte es fast die ganze Melone aus.
Im fünften Paneel sah man ein kleines Köpfchen mit milchigen ovalen Augen, Stielaugenansätzen und einer kleinen kreisrunden Mundöffnung unter den Augen aus der Melone hervorragen. Das vierte Skulpturenpaneel zeigte eine junge Myrmikatze, ganz ähnlich jenen, die Richard bereits früher an diesem Tag gesehen hatte, und das bestätigte seine Vermutung, die er bei der Betrachtung des Wandschmucks gehabt hatte. Ja, du heiliger Bimbam , brummte Richard vor sich hin. Also sind Mannamelonen Myrmikatzeneier! Seine Gedanken sprangen: Aber das ergibt doch keinen Sinn! Die Avianer essen Melonen ... ja, die Myrmikatzen füttern mich sogar mit ihnen ... Was geht hier eigentlich vor?
Richard war dermaßen verblüfft von seiner Entdeckung (und so erschöpft von der ganzen Rennerei während seiner Besichtigungstour), dass er sich einfach vor dem Paneel mit den Myrmikatzenjungen auf den Boden setzte. Dann versuchte er sich über die Bezugssysteme zwischen Myrmikatzen und Avianern klarzuwerden. Ihm fiel kein vergleichbares Beispiel von Symbionten auf der Erde ein (obwohl er natürlich recht gut wusste, dass sogar auf der Erde verschiedene Spezies oft zusammenwirkten, um für alle beide die Überlebenschancen zu verbessern). Doch wie war es möglich, dass eine Gattung Lebewesen einer zweiten freundschaftlich verbunden blieb, wenn deren einzige Nahrung ausschließlich aus der Nachkommenschaft, den Eiern der anderen Art bestand? Richard gelangte zu dem Schluss, dass das, was er für fundamentale biologische Grundwahrheiten gehalten hatte, anscheinend bei den Avianern und Myrmikatzen keine Geltung besaß.
Und während er so dahockte und über alle diese merkwürdigen neuen Erfahrungen nachdachte, sammelte sich um ihn eine Schar von Myrmikatzen, die ihm bedeutete, er möge aufstehen. Er folgte ihnen eine gewundene schräge Rampe am andren Ende des Raumes hinab, die zu einer abgetrennten Krypta unter der >Kathedrale< führte.
Hier stieß Richard zum ersten Mal seit seinem Eintritt in dieses Habitat auf eine schummrige Beleuchtung. Die ihn begleitenden Myrmikatzen bewegten sich gemessen, beinahe ehrfurchtsvoll neben ihm durch einen breiten Gang mit gewölbter Decke. Am Ende öffneten sich zwei Eingänge zu einem weiten Raum, der mit einem weichen weißen Stoff angefüllt zu sein schien. Aus der Ferne sah dieses Material wie dichtgepackte Baumwolle aus, doch die einzelnen Fasern waren überwiegend recht fein, außer an Stellen, wo sie sich zu ganglienähnlichen Klumpen ballten, die ohne erkennbare Struktur in der großen weißen Masse verteilt waren.
Sie blieben am Eingang stehen, etwa einen Meter von der weißen Masse entfernt. Soweit er sehen konnte, breitete sich das watteähnliche Gespinst nach allen Seiten aus. Und noch während er die komplizierte Gewebskonstruktion betrachtete, begannen sich einzelne Bereiche langsam zu bewegen, lösten sich voneinander und bildeten einen Pfad vom Eingang des Raums ins Innere des Netzgeflechts. Das Zeug lebt ja, dachte Richard mit rasendem Puls, aber fasziniert zuschauend.
Fünf Minuten später hatte sich eine Gasse aufgetan, gerade weit genug, dass Richard zehn Meter tief in die Materie hätte vordringen können. Sämtliche Myrmikatzen um ihn zeigten nach vorn in das Wattegewebe. Er schüttelte den Kopf. Tut mir leid, Kumpels, wollte er damit sagen. Aber irgendwas an diesem Arrangement gefällt mir nicht so recht. Also möchte ich gern diesen Teil der Besichtigungstour ausfallen lassen, wenn ihr nichts dagegen habt.
Aber die Myrmikatzen zeigten beharrlich nach innen. Ihm blieb keine Wahl, und er wusste das. Und was wird das Ding mit mir
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