Die nächste Begegnung
machen ?, fragte er stumm, als er den ersten Schritt vorwärts tat. Mich auffressen? Ging es die ganze Zeit darum ? Aber das ergäbe doch überhaupt keinen Sinn.
Er wandte sich um. Die Myrmikatzen hatten sich nicht bewegt. Er holte tief Luft, dann schritt er die ganzen zehn Meter tief in die Schneise hinein bis an eine Stelle, an der er eines der Ganglien in dem lebendigen Gewebe erreichen und berühren konnte. Aber während er das Ganglion behutsam untersuchte, begann die Materie um ihn herum sich erneut zu bewegen. Er wirbelte auf dem Absatz herum und sah, dass der Gang hinter ihm sich bereits wieder zu schließen begann. Von plötzlicher Panik erfasst, wollte er zurück zum Ausgang laufen, doch das war vergebliche Mühe. Das Netzgeflecht packte ihn, und er machte sich resigniert bereit, das hinzunehmen, was demnächst geschehen würde.
Er blieb völlig bewegungslos, während das Gespinst ihn zu umhüllen begann. Die winzigen fadenähnlichen Elemente maßen etwa einen Millimeter im Durchmesser, und sie überzogen langsam und stetig seinen ganzen Körper und lösten dabei seine Kleidung auf. He, halt, dachte er, ihr erstickt mich ja! Doch erstaunlicherweise hatte er keine Mühe zu atmen, obwohl sich bereits Hunderte von diesen Fasern ihm um den Kopf und über das Gesicht wickelten.
Ehe auch seine Hände umsponnen waren, versuchte er eines der winzigen Faserchen von seinem Arm fortzuziehen.
Es war unmöglich. Die Fasern hatten sich beim Einspinnen in seine Epidermis verhakt. Nach mehrmaligem Zerren gelang es ihm schließlich, das weiße Geflecht von einer kleinen Stelle an seinem Unterarm wegzuziehen, aber er blutete an den freigewordenen Stellen. Er überdachte die Gesamtoberfläche seines Körpers und kam zu dem Schluss, dass inzwischen wahrscheinlich eine Million oder mehr Partikelchen des lebendigen Gewebes unter die äußere Schicht seiner Epidermis vorgedrungen waren. Es schauderte ihn.
Aber es erstaunte ihn immer noch, dass er noch nicht erstickt war. Und während er sich verblüfft fragte, wie er durch das Gewebe hindurch noch immer mit Luft versorgt wurde, hörte er in seinem Kopf eine andere Stimme, die zu ihm sagte: So hör doch endlich mal auf alles analysieren zu wollen. Du kapierst es sowieso nie. Gib dich doch wenigstens einmal in deinem Leben hin und erlebe das Unglaubliche, das Abenteuer.
5
Und wieder war ihm das Zeitgefühl abhandengekommen. Irgendwann während der Tage — oder waren es bereits Wochen? —, die Richard nun bereits in dem Gespinst der Außerirdischen lebte, hatte er seine Lage verändert. Nun lag er auf dem Rücken und wurde von einer dichten Partie des feinen Gespinsts getragen, das seinen ganzen Leib umfing.
Sein Gehirn fragte sich nicht mehr unablässig, wieso er dabei überleben konnte. Jedes Mal wenn er Hunger oder Durst verspürte, wurde diesem Bedürfnis sehr schnell abgeholfen. Seine Körperausscheidungen verschwanden in Minutenschnelle, wie zu Anfang seine Kleidung. Die Atmung war leicht, obwohl er rundum von dem lebendigen Gewebe eingehüllt war.
Viele seiner wachen Stunden studierte er die ihn umgebende Wesenheit. Wenn er genau hinsah, konnte er erkennen, dass die winzigen Bestandteile beständig in Bewegung waren. Die Strukturmuster des ihn umgebenden Geflechts verwandelten sich sehr langsam. Im Kopf registrierte er die Bewegungsbahnen der für ihn visuell erfassbaren Ganglien. Einmal zogen drei verschiedene Ganglien nahe an ihn heran und formten vor seinem Kopf ein Dreieck.
Das Gespinst entwickelte einen regelrechten Interaktionszyklus mit Richard. Fünfzehn, zwanzig Stunden lang ununterbrochen hafteten die Tausende Faserchen an ihm, dann war er plötzlich für mehrere Stunden von ihnen frei. Immer wenn er frei von dem Geflecht war, schlief er tief und traumlos. Wenn er einmal in diesem >freien< Zustand erwachte, war er jedes Mal ausgelaugt und geschwächt. Aber jedes Mal, wenn ihn dann die Fasern wieder einsponnen, fühlte er sich von frischer Energie erfüllt.
Solange er im Geflecht war, waren seine Träume aktionsbetont und lebhaft. Er hatte (soweit er sich erinnern konnte) nie sehr viel geträumt, früher, und sich oft über Nicole lustig gemacht, die ihren Träumen eine derart große Bedeutung beimaß. Doch als nun die Bilderwelt seiner Schlafperioden immer komplexer und zuweilen sogar ausgesprochen bizarr wurde, begann er allmählich zu begreifen, warum seine Partnerin ihre Träume derart wichtig nahm. Einmal träumte er, dass er wieder ein Teenager
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