Die nächste Begegnung
an. Ich mühte mich, in meinem Gehirn freundliche Gedanken zu konzentrieren, und hoffte, meine positiven Absichten würden sich irgendwie über meine Augen mitteilen. Einmal, sah ich, änderte der Vogel den Ausdruck, aber ich habe natürlich nicht die geringste Ahnung, was er mit welchem Ausdruck sagen wollte.
Richard kehrte mit einer unsrer schwarzen Schüsseln voll grüner Pampe zurück. Er stellte sie nieder, deutete darauf, und wir zogen uns so sechs, acht Meter zurück. Der Vogel näherte sich mit kurzen, zögernden Hüpfern und blieb dann dicht vor der Schüssel stehen. Er tunkte den Schnabel in die breiige Flüssigkeit, probierte und warf dann den Kopf zurück, um zu schlucken. Anscheinend war ihm die Pampe angenehm, denn er hatte die Schüssel in knapp einer Minute geleert. Als er fertig war, ruckte er zwei Schritte zurück, breitete die Schwingen aus, hob sich in die Luft und strich über unsre Köpfe hinweg davon.
»Was meinst du, wo er hinfliegt?«, fragte ich.
»Er fliegt in seinen Tod«, antwortete Richard leise. »Er will sich seine Welt noch einmal anschauen.«
06-01-2205
Mein Geburtstag. Jetzt bin ich einundvierzig. Hatte in der vergangenen Nacht wieder einen meiner lebhaften Träume: Ich war sehr alt. Mein Kopf war völlig grau, ich hatte tiefe Runzeln im Gesicht. Ich lebte auf einem Schloss — irgendwo an der Loire, nicht allzu fern von Beauvois — mit zwei erwachsenen Töchtern (in meinem Traum sah keine Simone oder Katie oder Genevieve irgendwie ähnlich) und drei Enkelsöhnen. Die waren alle schon Teenager und körperlich gesund, aber mit jedem stimmte irgendwas nicht. Sie waren alle drei irgendwie stumpfsinnig, vielleicht gar geistig retardiert. Ich weiß noch, dass ich ihnen in meinem Traum zu erklären versuchte, wie das Hämoglobinmolekül Sauerstoff aus dem Lungensystem in die Körpergewebe bringt. Keiner hat begriffen, was ich ihnen erklären wollte.
Ich wachte auf und war dep ri miert. Es war mitten in der Nacht, und alle andren unserer Familie schliefen. Wie ich das oft tue, ging ich den Korridor hinunter zum Kinderzimmer, um mich zu vergewissern, dass die Mädchen ihre leichten Decken nicht abgeschüttelt haben. Simone bewegt sich nachts ja kaum, aber Katie hat (wie üblich) mit ihrem Herumgehampel ihre Decke weggeschubst. Also deckte ich sie wieder zu und setzte mich in einen der Sessel.
Was bedrückt mich eigentlich?, überlegte ich. Wieso träum ich so oft von Kindern und Enkeln? Irgendwann in der vergangenen Woche machte ich Richard gegenüber scherzhaft eine Bemerkung, wie es wäre, wenn wir ein drittes Kind hätten, und er — der gerade mal wieder eine seiner langwierigeren Perioden der Umdüsterung durchmacht — platzte fast aus seiner Haut. Ich glaube, es tut ihm immer noch leid, dass ich ihn zu Katie überredet habe. Natürlich ließ ich das Thema sofort fallen; schließlich wollte ich ja nicht wieder eine seiner nihilistischen Tiraden provozieren.
Aber will ich, würde ich wirklich zum jetzigen Zeitpunkt noch ein Kind haben wollen? Hat es denn überhaupt einen Sinn, angesichts der Lage, in der wir uns befinden? Aber auch wenn man mal vorläufig irgendwelche persönlichen Gründe beiseitelässt, die ich haben könnte, ein weiteres Kind in die Welt zu setzen, es gibt auch starke biologische Gründe dafür, dass wir mehr Kinder haben sollten. Soweit wir unser künftiges Schicksal vorhersehen können, werden wir wohl kaum je wieder mit Vertretern der menschlichen Spezies in Kontakt kommen. Und wenn wir die letzten unsrer Art sind, wäre es doch vernünftig, uns an einen der wichtigsten Grundsätze der Evolutionstheorie zu halten: Maximale genetische Variation führt zu höchster Überlebenswahrscheinlichkeit der Art in ungesicherter Umwelt.
Als ich den Traum der letzten Nacht endlich abgeschüttelt hatte, arbeitete mein Wachbewusstsein daran sogar noch viel weiter. Also, nehmen wir mal an, sagte ich mir, dass Rama tatsächlich ohne Ziel irgendwo so dahinfliegt — oder doch jedenfalls nicht sehr bald an ein Ziel kommt — und wir dann unser restliches Leben so, unter den jetzigen Gegebenheiten, zubringen werden ... dann werden aller Wahrscheinlichkeit nach Simone und Katie uns drei Erwachsene überleben. Und was kommt dann? Entweder wir haben irgendwie Sperma von Michael oder Richard aufgehoben (und die daraus resultierenden biologischen und soziologischen Probleme wären enorm) oder meine Töchter werden keine Kinder haben können. Sie werden vielleicht in einem
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